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Christoph Rehmann-Sutter Prof. für Theorie und Ethik der Biowissenschaften

Vorlesung Forschungsethik der biomedizinischen Wissenschaften Master MLS/MIW, 2. Semester, SS 2011 Technisch-ökologische Risiken 25. Mai 2011. Christoph Rehmann-Sutter Prof. für Theorie und Ethik der Biowissenschaften rehmann@imgwf.uni-luebeck.de www.imgwf.uni-luebeck.de.

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Presentation Transcript


  1. Vorlesung Forschungsethik der biomedizinischen WissenschaftenMaster MLS/MIW, 2. Semester, SS 2011Technisch-ökologische Risiken25. Mai 2011 Christoph Rehmann-Sutter Prof. für Theorie und Ethik der Biowissenschaften rehmann@imgwf.uni-luebeck.de www.imgwf.uni-luebeck.de

  2. The top part of the badly damaged No. 4 unit of the Fukushima Dai-ichi nuclear power plant in Okumamachi (Photo: AP, published 17. 3. 2011) Gibt es eine Ethik des kalkulierten Risikos?Was sind technisch-ökologische Risiken?

  3. Wenn Naturkatastrophen mit technischen Risiken interagieren • Die AKWs in Japan waren ausgelegt für Erdbeben bis zu Stärke 8, sie wurden erwischt von Stärke 9. • Erdbeben der Stärke 9 sind zehn Mal so stark wie eines der Stärke 8; Kosten für Sicherheitstechnik wäre exponenziell gestiegen. • Das hätte den Atomstrom teurer gemacht als andere Energien und die Profite der Betreiber entscheidend verringert. Quelle: Bernd Ulrich, Japans Lehre für die Welt. Die Zeit 17. 3. 2011. • Die Bergung von Tsunami-Opfern in der Evakuationszone war erschwert oder unmöglich. • Haftungsobergrenzen werden politisch bestimmt. In der Schweiz liegen sie bei 1,8 Mia. SFR; in Deutschland bei 2,5 Mia Euro (wenn ausserordentliche Naturkatastrophen den Atomunfall verursachen, sonst unbegrenzte Haftung). Eine Reaktorkatastrophe in der Schweiz hätte Schäden von hundeten von Mia. SFR zur Folge. Konsequenz: eine Subventionierung des Risikos durch die öffentliche Hand.

  4. „Man braucht keine Liebe für die neue Weltbürgerschaft, es reicht schon Verstand. Dennoch kann man irre werden an den neuen Anforderungen. Darum müssen in der Tat Lehren gezogen werden aus der Katastrophe von Fukushima. Das elfte Gebot für den modernen Bürger lautet: Du sollst nicht pokern – die Einsätze sind zu hoch, zu viele Menschen sind betroffen.“ Bernd Ulrich: Japans Lehre für die Welt. Die Zeit 17. 3. 2011. Die Ethik des Risikos beginnt bei der Sprachkritik. Kunstworte bestimmen das öffentliche Bewusstsein: • „Störfall“ – nur eine Störung? • „Restrisiko“ – der absolut unvermeidliche Rest, den wir immer schon und überall auch akzeptieren? • „Endlager“ – es gibt seit Beginn der Kernkraftwerke noch kein langfristig sicheres Lager. Alle Lager müssen als „Zwischenlager“ behandelt und laufend versorgt werden. • „Risiken“ der Kernkraftwerke zu verstehen als (1) kalkulierbare Risiken, (2) für Menschen?

  5. Erzeugen Vergleiche mit anderen Risiken und noch schlechteren Optionen wirklich Legitimität?www.cleanenergyinsight.org/interesting/wednesday-fact-series-npps-dont-cause-cancer/Bernard L. Cohen: The Nuclear Energy Option. Plenum Press 1990

  6. Deaths/TWh in all EU states + Norway for fossil fuels, bioenergy, hydro, nuclear and wind Economic Analysis of Various Options of Electricity Generation – Taking into Account Health and Environmental Effects” by Nils Starfelt Carl-Erik Wikdahl. http://seekerblog.com/2010/09/21/externe-comparing-nuclear-health-and-environmental-effects/

  7. Aus einem Blog – Was sagen Sie zu dieser Aussage?? http://seekerblog.com/2010/09/21/externe-comparing-nuclear-health-and-environmental-effects/ (24. 3. 2011; anonymous blog contribution) „When an anti-nuclear activist says “No to nuclear power because it isn’t safe” I ask “compared to what?” Decisions about energy options always involve comparative risks and benefits. So to make informed choices the politicians need to be informed and able to evaluate relative risk/benefits. A staggering amount of research has been done to characterize the risks of nuclear, fossil fuels, bioenergy, hydro, wind and solar. From that research the conclusion I reach is that nuclear power is the safest available option to meet the energy demands of both developed and developing countries. Hydro can be similarly safe, but the hydro opportunities are largely already exploited, while we need to keep in mind that in the 1975 to 1985 period some of the biggest man-made energy-related disasters were caused by dam failures in China (The worst energy-related accident was the Banqiao/Shimantan dam failure in China in 1975 when some 30 000 people were killed) and India (Machhu II, India 2500 deaths and Hirakud, India 1000 deaths).“ Ref. quoted: OECD 2010.

  8. Nuclear Energy Agency Organziation for Cooperation and Development. Comparing Nuclear Accident Risks with those from Other Energy Sources. OECD 2010

  9. - Welche Voraussetzungen werden akzeptiert?- Sind die Voraussetzungen der Modelle haltbar? • Fortschrittsmodell seit 19. Jh.: Mechanisierung und Industrialisierung auf der Grundlage von unbegrenzt wachsender Energienutzung. • Ist das a) möglich, b) echter wünschbarer, humaner Fortschritt im Sinn des Wohls? • Energieeffizzienz und Einsparen als „Energiequelle“? • Regeln des Marktes müssen so gesetzt werden, dass die Preise auch die „ökologische Wahrheit sagen“ (Ernst Ulrich von Weizsäcker, Erdpolitik). • Vergleichbarkeit von nicht akzeptierten Risiken (z.B. Armut), unfreiwillig akzeptierten Risiken (z.B. Straßenverkehr) mit freiwillig akzeptierten Risiken (z.B. Atomkraft)? • Vergleichbarkeit von sich selbst auferlegten mit anderen auferlegten (zugemuteten) Risiken?

  10. Etabliertes Wohlstandmodell: Je höher die Entwicklung, desto stärker überschreitet der ökologische Fußabdruck die Nachhaltigkeitsschwelle. Ethik: was ist ein „gutes“, „besseres“ Leben?

  11. Stefan Rahmstorf: A new view on sea level rise. Nature Reports Climate Change 4 (2010): 44-45.

  12. Sind Menschen Teil der Natur? Können wir die technisch-ökologischen Systeme „beherrschen“, wenn sie die Welt „voll“ wird? Das Kriterium der Nachhaltigkeit (sustainability) verlangt zukunftsfähige Mensch-Natur-Interaktionen

  13. Annette Rid, Ezekiel J. Emanuel, David Wendler: Evaluating the Risks of Clinical ResearchJAMA 304 (2010): 1472-1479 „Many regulations evaluate the risks of research interventions by comparing them with the risks of specified comparator activities. (...) US regulations direct IRBs to compare the risks of research interventions with the risks ‚ordinarily encountered in daily life or during the performance of routine physical or psychological examinations or tests‘. (...) Implies that the study may enroll healthy children and may be approved using an expedited review process.“ Entsprechende Vorschriften finden sich in der Oviedo-Konvention des Europarats (allerdings von Deutschland nicht ratifiziert).

  14. Risikokonzepte (1) In der ökonomischen Risikotheorie stehen die unternehmerischen Entscheidungen im Zentrum: Wahl zwischen Optionen, die zu Ergebnissen führen, oft nur in ihren Wahrscheindlichkeiten kalkulierbar. Das Risiko ist ein (kalkulierbares) Wahrscheinlichsein eines Schadens: R = pS • Problem für die Risiko-Ethik: • Betroffene fehlen als Figuren, • Grosse Schäden können “kleingerechnet” werden: Probabilismus ist ethisch voraussetzungsreich. • Vergleichbarkeit?

  15. Mit der Uebertragung des ökonomischen Risikomodells auf die technisch-ökologischen Risiken wird folgendes unterstellt: • Die Risikosituation stellt einen geschlossenen Ereignisraum dar, dessen mögliche Ausgänge grundsätzlich bekannt sind, wenn auch unbekannt ist, welcher der möglichen Ausgänge jeweils real eintritt. • Die Ausgänge sind quantitativ abschätzbar. • Die Ergebnisse lassen sich miteinander verrechnen; es gibt eine gemeinsame Maßeinheit. • Die Eintretenswahrscheinlichkeiten der einzelnen Ausgänge sind abschätzbar. • Das Modell der Entscheidungssituation mit Optionen und Ausgängen stellt als solche eine plausible Interpretation der realen Situation dar.

  16. Risikokonzepte (2) Im rechtswissenschaftlichen Risikobegriff geht es um die kausale Zurechnung von Schäden zu Handlungssubjekten, die für sie die Verantwortung tragen müssen: • Implikationen: • Mindestens 2 Subjekte: Geschädigte und Haftende, • Kausalität entsteht innerhalb eines komplexen Netzes der Kausalität. • Liegt B “Innerhalb des Risikos” der Handlung von A?

  17. Unterschiede zwischen beiden Risikomodellen: • Im ökonom. RM steht ein einziges Subjekt im Zentrum; das juristische geht von mindestens zwei Subjekten aus. • Das juristische RM bildet die Risikozumutung ab und hebt die besonders vulnerablen Personen heraus. • Wahrscheinlichkeiten können auch im juristischen RM eingerechnet werden (vernachlässigbare Wahrscheinlichkeiten, Hintergrund der natürlichen Gefahren, fraglos In kauf Genommenes etc., in dem die Kausalität gleichsam versinkt), können unzumutbare Folgen aber nicht “kleinrechnen”. • Beide RM ergänzen sich. Oekonomisches RM schafft bezüglich Wahrscheinlichkeiten grossere Klarheit. • Ethisches Problem im ökonomischen RM = ein Maximierungsproblem. • Ethisches Problem im juristischen RM = ein Verantwortungsproblem.

  18. Das Verantwortungsparadox Wir sind verantwortlich für die Folgen unserer Handlungen, wissen aber gleichzeitig oft nicht mit Präzision, wie weit der Bereich der Verantwortlichkeit reicht. Wie kann jemand für etwas verantwortlich sein, wofür kein Bewusstsein bestand? Dennoch entsteht im Rückblick Schuld und Verantwortung. Beispiel: Friedrich Dürrenmatt: Die Panne. Eine noch mögliche Geschichte. Zürich: Arche 1956.

  19. Risiko-Rechtfertigung setzt voraus: Wirkungstheorie: Welche möglichen Folgen (Wirkungen und Nebenwirkungen) kennt man, bzw. muss man kennen? Zurechnungsnormen: Normen, die das Zurechnen der Verantwortung für typische Folgen verlangen, die aus einer Handlung erwartet werden müssen. Sie entlasten das Handlungssubjekt, indem sie es von Zurechnungsüberlast freisprechen. Normalitätsdefinitionen: Werden benützt, um zu Vorstellungen zu gelangen, mit welchen Bedingungen in der Zukunft normalerweise zu rechnen ist, inkl. neue Situationen (z.B. Terrorismus, Erdbeben), die Sekundärwirkungen entfalten.

  20. Was bedeuten technisch-ökologische Risiken im Bezug auf die Unterscheidung von Natur und Mensch?

  21. „Naturkatastrophen“ • Nicht von Menschenhand verursacht • Keine „technischen“ Unfälle • Verantwortung ist Unterscheidungskriterium zwichen technischen und natürlichen Katastrophen • D.h. der Naturbegriff ist (auch) ein ethischer Begriff: das, was nicht in der Verantwortung des Menschen liegt.

  22. “Natur” und “Mensch” in versch. Handlungsbereichen

  23. Einige Besonderheiten naturethischer Probleme: • Betroffenheit nichtmenschlicher Wesen (Tiere, Pflanzen, Organismen, Arten, Habitate, Orte, Oekosysteme etc.), • Vernetzte Kausalität (bedingte Kausalität, Wahrscheinlichkeiten, Risiken, „Verantwortungsparadox“), • Kollektive Praxis (Tragedy of the commons / Allmendeprobleme, kausale Inkremente, Trittbrettfahrerprobleme), • Entfernte Effekte (Zukunftsethik, „Schmetterlings-Effekt“, Halbwertszeiten), • Verfügung über die „Natur“ von Wesen (Gentechnik, Nanotechnologie, die „Natur der Subjekte“), • Ungenügen reduktionistischer Ethikansätze (Moralsysteme, Machtgefüge,Wissen und Identität), • Wahrnehmung ist Thema der Ethik.

  24. Literatur zur Ethik des Risikos: Klassiker der ökonom. Risikotheorie: Frank H. Knight: Risk, Uncertainty and Profit. Boston: Houghton Mifflin 1921. Klassiker zur juristischen Risikotheorie: H.L.A. Hart / Tony Honoré: Causation in the Law. 2nd ed.: Oxford: Clarendon 1985. Ethik und Politik des Risikos: Christoph Rehmann-Sutter / Adrian Vatter / Hansjörg Seiler: Partizipative Risikopolitik. Opladen: Westdeutscher Verlag 1998 Die beiden Risikomodelle: Christoph Rehmann-Sutter: “Involving Others: Towards and Ethical Concept of Risk”. Risk: Health, Safety & Environment 119 (1998): 119 - 136.

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