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Grenzgänge - Bergsteigen als Philosophie

Grenzgänge - Bergsteigen als Philosophie. Prof. Dr. Heimo Hofmeister. Grenzgänge - Bergsteigen als Philosophie. Materialien zur Vorlesung Diskussionsforum http://theologie.uni-hd.de/wts/religionsphilosophie.html Prof. Dr. Heimo Hofmeister Lehrstuhl Religionsphilosophie - Philosophie.

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Grenzgänge - Bergsteigen als Philosophie

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Presentation Transcript


  1. Grenzgänge - Bergsteigen als Philosophie Prof. Dr. Heimo Hofmeister

  2. Grenzgänge - Bergsteigen als Philosophie Materialien zur Vorlesung Diskussionsforum http://theologie.uni-hd.de/wts/religionsphilosophie.html Prof. Dr. Heimo Hofmeister Lehrstuhl Religionsphilosophie - Philosophie

  3. Vorlesungsthemen Einleitung Wer suchet, der findet: Die Besteigung des Mont Ventoux als Suche nach dem Grund Die Entdeckung der Landschaft Der Weg hinauf und hinab ist ein und derselbe Vom Nutzen und Nachteil der Berge Angst: Bergerlebnis und Sinnerfahrung Sind Berge männlich? Zur Rolle der Frau in den Bergen Der Bergtod Der Berg in der Sicht der Kunst

  4. EinleitungDer Berg und das IchHistorischer Rückblick Wer suchet, der findetDie Besteigung des Mont Ventoux als Suche nach dem GrundDer Berg und der GottsucherDie Entdeckung der LandschaftDie Freude am Berg: Geburtstunde des AlpinismusTouching the VoidDer Weg hinauf und hinab ist ein und derselbeHöhle und Berg Spiegelbilder des Lebens Anstieg und AbstiegDer Gipfel Vom Nutzen und Nachteil der BergeAngst: Bergerlebnis und SinnerfahrungSind Berge männlich? Zur Rolle der Frau in den BergenDer BergtodWahrnehmung des Berges in der Kunst

  5. Vom Nutzen und Nachteil der BergeSein und Licht Ein Irrweg des Denkens Schön und Erhaben

  6. Sokrates hatte nach einem antiken Wort die Philosophie vom Himmel auf die Erde geholt, denn er habe das vorsokratische Nachdenken über die Natur, die Spekulation der physiologoi über die Arche und das Seiende in eine ethische Problematik wahrer menschlicher Existenz verwandelt. Von Platon hingegen wird behauptet, er habe die Philosophie wieder zur Sache des Himmels gemacht. Dies stimmt insofern, als mit ihm eine Weltauslegung für zwei Jahrtausende die Oberhand gewinnt, die das Seiende grundsätzlich vom Weltmoment des Himmels aus zu denken versucht. „Himmel“ meint den offenen Raum des Lichts, in dem alles Seiende gegenwärtig ist, es sich zeigt und in seiner Helle Aussehen und Umriß, Prägung und Gestalt erhält.

  7. Wie nicht die Summe der einzelnen Dinge das Ganze ausmacht, ist die Helle, in der alles aufscheint, etwas über die Einzeldinge Hinausgehendes. Die Helle vereinzelt und grenzt die Vielfalt der Dinge ab, sie unterscheidet Bäume, Berge, Wolken und Tiere, Menschen und Autos ihrem Aussehen nach, durch die räumlichen und die zeitlichen Grenzen, die sie voneinander trennen und sie in ihrer Unterschiedenheit voneinander allererst wirklich sein läßt. Im Licht des Himmels erscheinen die seienden Dinge, in diesem, durch es erhalten sie ihre Gestalt und ihr Aussehen, während das Licht in das Grenzenlose und Gestaltlose der offenen Weite des Himmels hinausstrahlt.

  8. Das Sein ist von Platon als begrenzend, aber selbst unbegrenzt gedacht. Seine Grundlegung der Philosophie denkt das Sein wie das Licht als das „Eine“ – in sich selbst Ununterschiedene –, als das Eine, welches das Viele in sich hält und gegeneinander abgrenzt. Wenn der Unterschied von Sein und Seiendem bei Platon am symbolischen Modell von Licht und Belichtetem veranschaulicht wird, so ist das Licht keine willkürliche Metapher der platonischen Seinslehre. Es gilt ihm als das Symbol für die zentrale Differenz zwischen Sein und Seiendem, denn alles, was ist, ist im Licht. Es ist das Unterscheidende und Differenzierende, das Zerstreuende und ist gleichwohl das eine und einige in sich selbst.

  9. Sein und Licht Die Orientierung der Seinsauslegung an dem Weltphänomen des Lichtes in Platons Höhlengleichnis und die sich daraus ergebende Gliederung des Seienden nach Umriß und Aussehen, Einzelnem und Allgemeinem, Möglichem, Wirklichem und Notwendigem prägt über Jahrhunderte hinweg das menschliche Seinsverständnis. Die Metaphysik des abendländischen Denkens ist Lichtmetaphysik. Das Licht ist in ihr nicht nur eine Metapher, sondern das Symbol der Differenz zwischen Sein und Seiendem. Licht ist in allem Belichteten präsent und doch kein Teil von diesem. Es wird nicht in vieles zerteilt und zerstreut wie dasjenige, das durch das Licht voneinander unterschieden und besondert ist. Das Licht wirkt als das Unterscheidende und als das die Gegensätze zur Erscheinung Bringende. Es seinerseits bleibt in sich selbst eins und einig.

  10. Platon spricht vom Licht nicht im Sinne unserer modernen Naturwissenschaft, für die das Licht über das Subjektive eines optischen Reizes hinaus eine physikalische Wellenschwingung ist. Er unterscheidet nicht die subjektiven von den objektiven Eigenschaften des Lichtes, für ihn ist das Licht weder ursprünglicher als das subjektive Sehen und die objektive Farbe, weder subjektiv noch objektiv. Dies zu sehen ist wichtig, weil das Licht als Symbol für die Differenz von Sein und Seiendem sowohl das Sehen als auch das Leuchten der Farben ermöglicht. Das Höhlengleichnis lehrt uns, daß das Licht die Gegenstände aus dem Dunkel, dem Nichts in die Helle des Seins bringt, und die Sonne, der Grund des Wachstums, aber auch des Vergehens von Seiendem ist. Der Sonne verdanken die Gegenstände nicht nur ihr Entstehen, Wachsen und Vergehen, sondern sie ist auch der Grund ihres Erkanntwerdens.

  11. Es ist ihr Licht, das die Gegenstände sichtbar macht, und Platon macht im Sonnengleichnis ausdrücklich darauf aufmerksam, daß die Sonne zwar nicht die Sehkraft ist: „Die Sonne ist nicht das Gesicht“, aber sie ist deren Ursache und wird als „Ursache davon, von eben demselben [dem Gesicht] gesehen“ (Platon, Politeia, 508 b.). Die Natur des Auges gilt Platon als „sonnenhaft“ und ebenso die Natur der Farbe, wenn auch in anderer Weise. Mit Goethe ausgedrückt liest sich dies so: „Wär‘ nicht das Auge sonnenhaft, Die Sonne könnt es nie erblicken; Läg‘ nicht in uns des Gottes eigne Kraft; Wie könnt uns Göttliches entzücken?“ Goethe, Zahme Xenien, III, 720-772 Zur Problematik: Philosophisch denken, S. 53

  12. Im normalen Vollzug des Sehens blicken wir auf Gesehenes. Wir sehen im Licht, aber achten nicht auf das Licht.Das Licht ist das Durchsichtige, durch es wird gesehen. Das Höhlengleichnis schildert die Umkehrung der gewöhnlichen Haltung, wenn der Sehende nicht mehr primär auf die belichteten Dinge und ihre Farben blickt, sondern auf das Licht, das den Lichtschein auf die Dinge wirft. Das Licht, die Sonne, blendet, und wer allzu lange in die Sonne schaut, erblindet. Wie die Umstellung des Blicks von den Farben im Licht auf das Licht selbst schwierig ist, so ist es noch schwieriger, im Bereich des seinsverstehenden Denkens statt auf die Dinge und die Wesenheiten der Dinge auf das den Dingen ihre Seiendheit verleihende Sein zu schauen. Bei Platon ist die Idee des Guten die Urheberin alles Seienden.

  13. Das Gute, von dem Platon spricht, das Agathon, ist nicht im Sinne der Religion als ein welterschaffender Gott oder als das Absolute zu deuten, noch meint es, wie es die deutsche Übersetzung des griechischen Begriffes suggeriert, einen moralischen Begriff oder ist ein Prädikat der Nützlichkeit. „Gut“ heißt im Griechischen etwas an dem kein Fehler ist und das so, wie es ist, in rechter Weise ist. So sprechen wir heute noch von „wahrer Liebe“ oder einem „guten Pferd“. Platon benennt folglich mit dem Guten als dem höchsten Grund von allem nicht ein Seiendes unter allem Seienden als das höchste unter ihnen, noch deutet er das Seiende als bloße Erscheinungen oder Emanationen des Seins. Gerade weil das Seinsgebende als „das Gute jenseits der Seiendheit“ ist, vermag es für ihn nicht direkt, sondern nur in Analogie zum Licht ausgesagt zu werden.

  14. Die einzelnen Ideen, die des Berges, der Almhütte, des Abgrundes verhalten sich zum Agathon, der Idee des Guten wie der einzelne Lichtstrahl zum Sonnenlicht im Ganzen. So ist das Sein von allem Seienden abgetrennt und ist doch Urheber und Hervorheber aller Dinge. Platons Begriff des Schaffens ist nicht die Hervorbringung aus dem Nichts, noch Formung eines schon naturhaft Geformten, sondern Formung des an sich Formlosen, der Chora. Nicht anders als die Strahlen der Sonne an der Finsternis zum Licht werden, bedarf auch die Idee des Guten eines Entgegengesetzten, das ihre Schaffenskraft zu formen vermag. Dieses Formen, die Kunst des Demiurgen, ist Bewegung und zwar die ordnende und einrichtende Bewegung. Sie ist die eigentliche Bewegung, wogegen die in der eingerichteten Welt sich vollziehenden Bewegungen alle abkünftig sind.

  15. Beispiele für Arten des Bewegtseins und der Ausbildung der Kategorien. Zu- und Anahme, Veränderung, Bewegung von hier nach dort, Entstehen und Vergehen. Zur Problematik: Philosophisch denken, S. 85

  16. Platons Sonnengleichnis bedient sich nicht nur der Parallele zwischen Licht und Sein, sondern nennt auch den Grund einer solchen Analogie. Das Licht ist das gegebene Analogon des Seins, weil es ein „Sprößling“, Ekgonos, des Seins ist (Platon, Politeia, 506 e.). Das Licht ist Ebenbild des Seins und es führt kein Weg zum Sein, der nicht über das Licht führt. Das Seinsverständnis ist dem menschlichen Denken vermittelt durch das Lichtverständnis. Das Sonnengleichnis macht dies begreiflich. Es zeigt den Bereich des Sichtbaren und den Bereich dessen, was nur dem Denken zugänglich ist. Aber beide Bereiche stehen in einer Entsprechung zueinander und diese Entsprechung bildet das Gefüge der Welt.

  17. Wir reden zwar immer vom Sein, in allen unseren Aussagen gebrauchen wir das „Ist“, aber wir gebrauchen es in einer vieldeutigen und uns nicht immer einsichtigen Weise. Im alltäglichen Reden meinen wir zu verstehen, was es heißt, von etwas zu sagen, daß es sei, daß es ein Seiendes ist, aber was wirklich seiend ist und was nur anscheinend seiend ist, was denn überhaupt wirkliches Sein ist und was nur Schein, das vermögen wir nicht zu bestimmen.

  18. Die Jagd nach dem Sein ist das eigentümliche Abenteuer der menschlichen Existenz, jenes Abenteuer, dem sich auch der Bergsteiger verschrieben hat, indem er der Höhe, dem Licht, zustrebt. Es mag die Frage gestattet sein, warum der Bergsteiger auch den Fels, den Gipfel, sucht, wenn vom Wetter her gar keine Hoffnung besteht, einen Überblick oder einen Durchblick, eine Aussicht, zu gewinnen, der Sonne, dem Licht, näher zu sein. Als Antwort sei darauf verwiesen, daß dieses Streben nach oben nicht nur der Sonne gilt. Licht läßt erscheinen, erzeugt Klarheit und Helle, zeigt Figuren und Gestalten und grenzt das, was es zeigt, gegeneinander ab. Es erhellt die Zusammenhänge, in denen unterschiedliches Seiendes zueinander steht und zeigt den Grund, aus dem Dinge herausragen, es zeigt das Erdreich, das sie bedeckt und überdeckt.

  19. Das Licht, das Erscheinen-Lassende, kann nicht selbst als einzelnes Phänomen begegnen. Wir sehen im Licht der Sonne, vermögen sie aber nicht direkt anzuschauen.Das Licht, weil es zu seinem Wesen gehört zu belichten, zu beleuchten, etwas aufscheinen zu lassen, bedarf eines Gegenelementes, eines Verschlossenen, eines Erdhaften, das auf seiner Oberfläche mit den herausragenden Dingen, seinen Aufgipfelungen, Schatten wirft. Schatten ist die Weise, wie Dinge im Licht erscheinen und sich der Ausbreitung der Helle des Lichts entgegensetzen. Licht gibt es nur im Zusammenhang mit anderen Elementen, Elementen, die die darin befindlichen Dinge fest und eng umschließen, wie das Erdreich den Wurm, die Luft den Vogel, das Wasser den Fisch.

  20. Bergsteigen ist eine besondere Weise der Fortbewegung. Der Bergsteiger will hoch hinaus, strebt dem Licht zu, aber er klammert sich gleichzeitig an das Erdhafte, sich in Fels und Eis seinen Halt und seinen Tritt suchend, will anders als der Flieger den Elementen nicht zur Sonne hin entkommen.

  21. Pieter Bruegel d.Ä. : Landschaft mit dem Fall von Ikarus (1558)

  22. Ein Irrweg des Denkens • Die Finalursache, jene, die von der Frage nach dem „Worumwillen“ eines Seienden getragen ist, ist die vierte der von Aristoteles in seiner Ursachenlehre genannten. • Materialursache: causa materialis • Formursache: causa formalis • Wirkursache: causa efficiens • Zweckursache: causa finalis • Zur Problematik: Philosophisch denken, S. 83

  23. Berge sind eine Selbstverständlichkeit, aber sind sie auch eine Notwendigkeit und dem Menschen von Nutzen? Die Beantwortung dieser Frage mag von den Umständen abhängen, in denen die Begegnung mit dem Berg stattfindet. Den karthagischen Truppen unter Hannibal war die Überquerung der Alpen verständlicherweise keine Freude. Nachdem die Soldaten die Pyrenäen „mitten durch die wildesten Volksstämme überstiegen“ haben, erschraken sie vor der ihnen bevorstehenden Aufgabe beim Anblick der Alpen. Hannibal muß ihnen Mut zusprechen: „Für was anderes haltet ihr die Alpen als – für hohe Berge? Gesetzt, sie wären höher als der Rücken der Pyrenäen: Fürwahr, kein Land stößt in den Himmel und ist dem menschlichen Geschlechte unersteigbar. Die Alpen aber werden bewohnt, bebaut; erzeugen und ernähren lebendige Geschöpfe; sie sind für wenige gangbar, aber auch für Heere nicht unwegsam. [...] Und einem bewaffneten Krieger, der nichts als seine Kriegsgeräte bei sich trägt, was ist diesem unwegsam oder unübersteigbar?“ (Livius zitiert nach: Jost Terfahl, Kleine Chronik des Alpinismus, Rosenheim 1984, S. 30 f)

  24. Der römische Schriftsteller Titus Livius hat uns in seiner Darstellung der römischen Geschichte mit dem Titel Ab urbe condita libri von dieser Rede berichtet und erzählt von den immer neuen Schrecken, die die Soldaten erlebten, je näher sie an die Alpen herangeführt wurden: „... die Höhe der Berge, die beinahe in den Himmel reichenden Schneemassen, die an den Felsen hängenden unförmigen Hütten,die vor Kälte zusammengeschrumpften Rinder und Lasttiere, die struppigen und schmutzigen Menschen, die ganz – belebte und unbelebte – von Frost starrende Natur“ waren eine „über alle Beschreibung scheußliche Erscheinung“. Es ist Livius, bei dem sich das Wort von der Häßlichkeit oder Abscheulichkeit der Alpen „foeditas alpium“ findet.

  25. Zum Erschrecken beim Anblick der Alpen und der kargen Lebensweise ihrer Bewohner kam noch die enorme Gefahr hinzu, die Fortbewegung im Gebirge, vor allem im winterlichen, bedeutet. Schon Livius, Polybios zitierend, weiß zu berichten, daß in der von Natur aus engen und steilen Örtlichkeit der frisch gefallene Schnee eine dichte Decke bildete, „so daß niemand die Wegspur erkennen oder bei einem Fehltritt schon auf den Füßen halten konnte; wer das Gleichgewicht verlor, stürzte augenblicklich in den Abgrund.“ (Vgl.: Helga Peskoller, BergDenken, S.66.)

  26. Ständig durch den Berg gefährdet leben aber nicht nur die Menschen, die ihn besteigen wollten, sondern auch all jene, die in seiner weiteren oder ferneren Nähe zu Hause sind. Berge geben Fragen auf. So jener Bergsturz im Jahr 563 n. Chr., der im Rhônetal mehrere Bergdörfer zerstörte und dessen Dröhnen man 60 Tage lang hören konnte, bis der Berg schließlich in die Tiefe brach. Damit nicht genug, durch den Bergsturz wurde das tief eingeschnittene Rhônetal abgesperrt und der Fluß staute sich und führte zu weiteren Verwüstungen. Für Fragen der Theodizee war damals noch kein Raum, virulent wurden sie erst nach dem Erdbeben von Lissabon 1700. Die Angst und die Furcht vor dem Berg lebte, und das Wort von der Häßlichkeit der Alpen oder der Ausspruch des römischen Dichters Horaz, der die Tiroler Berge schreckeinflößend, alpes tremendae, nennt, ist durchaus verständlich, wenn auch einseitig.

  27. In der Diskussion über die Berge, wie sie gelegentlich ab dem 17. Jahrhundert geführt wurde, geht es nicht mehr um die Frage, ob die Berge abscheulich und häßlich seien, sondern ob sie das Kainsmal der im Sündenfall verfluchten Schöpfung sind. Hatte die Erde zumindest vor der Sintflut eine andere Gestalt als die heutige? Die Entstehung der Berge erst mit der Sintflut anzusetzen, bot eine Antwort auf die Frage, wie Versteinerungen von Meerestieren auf hohen Bergen gefunden werden konnten, wenn Gott doch, noch bevor er Fische und Muscheln schuf, Land und Meer voneinander getrennt hatte. In seiner 1684 erschienenen weit verbreiteten und 1693 ins Deutsche übersetzten teluris theoria sacra behauptete Thomas Börnert, Berge seien kein Werk der Schöpfung, und die Erde sei ursprünglich glatt und geometrisch gewesen. Der königliche Kaplan und Master of the Charterhouse sah in den Bergen „Ruinen einer zerbrochenen Welt“, die entstand, als in der gewaltigen Katastrophe der Sintflut das ursprünglich glatte eherne geometrisch perfekt von Gott geformte Weltei zerbrochen ist und so die Gebirge entstanden.

  28. Börnert hatte, bevor er dieses schrieb, einmal die Alpen überquert und empfand sie als „The greatest examples of confusion that we know in nature“(The Secret Theory of the Earth, 2. Auflage London 1691 (ND1965) S. 53 ff, 115, 113.). Godfrey Goodman hatte schon 1616 ein Buch veröffentlicht, das den Titel „The Fall of Man, or the Corruption of Nature“ trägt und die Berge als Warzen auf der Oberfläche der Erde bezeichnet. Eine Ästhetik des Maßes, der Symmetrie und der Proportion vermochte es nicht, Natur als etwas Schönes wahrzunehmen (vgl. hierzu bes. Ruth Groh, Dieter Groh, Weltbildung und Naturaneignung. Zur Kulturgeschichte der Natur Frankfurt 1962, S. 54 f und 113 f. Ruth Groh, Dieter Groh, Frankfurt 1996, S. 113). Die Natur ist in sich zu unregelmäßig, zu ungegliedert und gegensätzlich. Findet auf sie das Attribut erhaben zu sein weit eher Anwendung als das schön zu sein?

  29. Diese Diskussion um den ästhetischen wie moralischen Charakter der Natur hat nicht nur Verteufelungstheorien hervorgebracht, sondern auch Versuche, im faktischen Dasein der Gebirge den Schöpfungsplan Gottes zu entdecken. So wandte sich George Hakegill 1627 gegen Goodman mit einem Buch, das den Titel trägt: Ecology, or Declaration of the Power of Evidence of God. Eine poetische Fürsprache finden wir in Alexander Popes „Essay on Man“ aus dem Jahre 1733, in dem es zusammenfassend heißt: All nature is right:

  30. “All nature is but art, unknown to thee; All chance, direction, which thou canst not see: All discord, harmony not understood; All partial evil, universal good: And, spite of pride, in erring reason’s spite, One truth is clear, Whatever Is, Is Right.”

  31. Die Frage der Nützlichkeit der Berge wurde seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zum klassischen Thema. Mit dem Aufkommen und der zunehmenden Bedeutung der Naturwissenschaften wird die Frage nach der Nützlichkeit der Berge ein klassisches Thema. Die Kunst gewinnt an ihnen Interesse. Für Peter Bruegel den Älteren war seine Italienfahrt in den Jahren 1552-1553 Anlaß zur Entdeckung der Natur als ein lebendiger Organismus - die Welt der Alpen und nicht die italienische Kunst war der entscheidende Eindruck dieser Reise (Siehe hierzu M. Dworak, Kunstgeschichte als Geistesgeschichte, München 1924. Dort: „Peter Bruegel der Ältere, S. 224. Jacek Wocniakowski, Die Wildnis, Warschau 1974, Frankfurt a.M. 1987, S. 126). Eine ähnliche Bedeutung nahmen die Alpen bei Dürer ein.

  32. Albrecht AlbrechtDürer Felswand

  33. Er bewunderte die Schönheit der Berge, die Gewalt der Felsmassen machte auf ihn einen ungeheuren Eindruck, wenn auch anders als für Bruegel wurden ihm die Gebirge „nicht zum lebendigen Leib der Welt“ (Zitiert nach Wocniakowski S. 126: Charles D. Tolnay, Die Zeichnungen Peter Bruegels, Zürich 1952). Johannes Friedländer behauptete, daß die Malerei die Schrecken der Berge gezähmt habe, denn man konnte sich an der gemalten Bedrohlichkeit ungefährdeter freuen und lernte so, sich auch am Original der wilden Natur selbst zu freuen (Friedländer, Johannes, Über die Malerei, München 1963, 1. Aufl. 1947, S. 70). Konrad Gessner, ein Schweizer Gelehrter, war der erste, der die Berge systematisch zu erforschen trachtete. Ihm folgten im 16. Jahrhundert Benedict Marti, Sebastian Münster und Josias Simler. Im Jahre 1541 schrieb Gessner einen Brief an den „gelehrtesten Avienus“, der als Einleitung zu seinen im gleichen Jahr erschienenen Libellus de lacte et operibus lactariis beigefügt wurde:

  34. „Seit diesem Augenblick entschied ich mich, gelehrtester Avienus“ – schrieb Gessner, „solange mir die Götter zu leben erlauben, alle Jahre einige Berge zu erklimmen oder mindestens einen, und zwar um die Zeit, da die Flora in voller Blüte steht, teils um sie zu erforschen, teils einer billigen Übung des Leibes wegen sowie zur Freude des Geistes. Welch eine Wonne, welche – glaube mir – Ergötzung des Geistes, anders gesagt: des Gefühls, die Ansicht riesiger Bergmassen zu bewundern und das Haupt gleichsam inmitten von Wolken zu erheben. Ich weiß nicht, wie es kommt, daß die Seele auf staunenswerter Höhe eine Erschütterung erfährt und zur Betrachtung jenes höchsten Baumeisters hingerissen wird. Menschen trägen Geistes jedoch bewundern nichts, sie sitzen zu Hause, gehen nicht aus zu dem theatrum der Welt, ziehen sich wie Ratten im Winter in ihre Ecken zurück, ohne zu begreifen, daß die menschliche Gattung deswegen inmitten der Welt erschaffen wurde, um aus ihren Wundern die höchste Gottheit besser zu erkennen.“

  35. Neben der Begeisterung und der Faszination durch Berge waren es vor allem rationale Argumente, die deren Nützlichkeit und Sinnhaftigkeit begründen sollten. So wurde der Reichtum der Berge an Wassern, Wäldern, Weiden und heilkräftigen Kräutern genannt. Die Rechtfertigung der Berge aus der Darlegung ihres Nutzens war ein Thema bis ins 18. Jahrhundert. 1752 erschien eine Schrift mit dem Titel: „Essai sur l’usage des montagnes“. Ihr Verfasser, Elli Bertrand, polemisierte hier gegen Thomas Burnett, indem er die sogenannten Nachteile der „Eisgebirge des Schweizerlandes“, ihre Unfruchtbarkeit der dicken Schnee- und Eisdecke wegen versuchte als einen Gewinn zu erweisen.

  36. Nur der „Unweise“ würde seiner Meinung nach denken, fruchtbare Täler und Wiesen wären besser statt Eis und kahle Felsen und die entsetzliche Wildnis in den Bergen; denn „je mehr wir also die geheimen Wege der Natur einsehen und ihren Grundgesetzen nachforschen, desto mehr werden wir auch die unendliche Weisheit und unaussprechliche Güte ihres großen Urhebers erkennen“ (Gruner, Gottlieb, Die Eisgebirge des Schweizerlandes, drei Bände, Bern 1760. Die Zitate stammen aus dem dritten Band, S. 212-219). Bereits Albrecht Haller, der von Gruner zitiert wird, hat in dem bekannten Gedicht „Die Alpen“ 1729 den Nutzen der Berge hervorgehoben:

  37. Der Berge wachsend Eis, der Felsen steile Wände Sind selbst zum Nutzen da und tränken das Gelände. ... Ein angenehm Gemisch von Bergen, Fels und Seen Fällt nach und nach erbleicht doch deutlich, ins Gesicht, Die blaue Ferne schließt ein Kranz beglänzter Höhen,...

  38. Nutzen und Schönheit hebt Haller in seinem Gedicht an die Berge hervor. Anders als bei Haller finden wir die ästhetische Einschätzung der Berge bei einem Gedicht von Barthold Hinrich Brockes. Es trägt den Namen „Die Berge“. In diesem Gedicht wird auf einen Widerspruch in der Betrachtung der Berge reflektiert (Hinrich Brockes, Barthold, Auszug der vornehmsten Gedichte aus dem „Irdischen Vergnügen in Gott, Hamburg 1738, Neudruck 1965, S. 124-131):

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