1 / 214

Deutsche Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts

Vorlesungsskript von Dr. Marc Hansmann, Lehrbeauftragter am Institut für Öffentliche Finanzen der Leibniz Universität Hannover im WS 2012/13. Deutsche Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts. Übersicht (I): Deutsche Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts. Seite.

niabi
Télécharger la présentation

Deutsche Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts

An Image/Link below is provided (as is) to download presentation Download Policy: Content on the Website is provided to you AS IS for your information and personal use and may not be sold / licensed / shared on other websites without getting consent from its author. Content is provided to you AS IS for your information and personal use only. Download presentation by click this link. While downloading, if for some reason you are not able to download a presentation, the publisher may have deleted the file from their server. During download, if you can't get a presentation, the file might be deleted by the publisher.

E N D

Presentation Transcript


  1. Vorlesungsskript von Dr. Marc Hansmann, Lehrbeauftragter am Institut für Öffentliche Finanzen der Leibniz Universität Hannover im WS 2012/13 Deutsche Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts

  2. Übersicht (I): Deutsche Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts Seite • Freitag, 09.11.12, 14.30 - 16.00 Uhr: Einführung 4 • Freitag, 09.11.12, 16.15 - 17.45 Uhr: Strukturproblem der Staatsverschuldung 13 • Freitag, 23.11.12, 14.30 - 16.00 Uhr: Strukturproblem der Finanzverfassung 25 • Freitag, 23.11.12, 16.15 - 17.45 Uhr: Strukturproblem des Steuerrechts 44 • Freitag, 07.12.12, 14.30 - 16.00 Uhr: Strukturproblem der Finanzverwaltung 58 • Freitag, 07.12.12, 16.15 - 17.45 Uhr: "Fiscal agony" des Kaiserreichs 79 • Freitag, 21.12.12, 14.30 - 16.00 Uhr: Fiskalschock des 1. Weltkriegs 91 • Freitag, 21.12.12, 16.15 - 17.45 Uhr: Zäsur der Weimarer Republik 103

  3. Übersicht (II): Deutsche Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts Seite • Freitag, 11.01.13, 14.30 - 16.00 Uhr: Brünings Deflationspolitik 117 • Freitag, 11.01.13, 16.15 - 17.45 Uhr: NS-Rüstungskeynesianismus 134 • Freitag, 25.01.13, 14.30 - 16.00 Uhr: Die fetten Jahre der Bonner Republik 147 • Freitag, 25.01.13,16.15 - 17.45 Uhr: Konjunkturpolitik der 70er Jahre 164 • Freitag, 01.02.13, 14.30 - 15.30 Uhr: Konsolidierungspolitik der 80er Jahre 177 • Freitag, 01.02.13, 15.30 - 16.30 Uhr: Fiskalschock der Deutschen Einheit 190 • Freitag, 01.02.13, 16.45 - 17.45 Uhr: Das Schreiben einer Hausarbeit 213

  4. Freitag, 09.11.12, 14.30 - 16.00 Uhr 1. Einführung

  5. 1.1 Erkenntnisleitende Fragestellungen Warum ist die Staatsverschuldung so hoch? 1 Besteht ein Zusammenhang zwischen der hohen Staats-verschuldung und der Steuerpolitik bzw. dem Steuerrecht? 2 Welche Rolle spielt die Finanzverfassung für die Höhe der Staatsverschuldung? 3 Vermag die Public-choice-Theorie die hohe Staats-verschuldung zu erklären? 4

  6. 1.2 Erklärungsansatz der Finanzgeschichte Aufzeigen und Analyse empirischer Daten der Geschichte „Die Finanzen sind einer der besten Angriffspunkte der Untersuchung des sozialen Getriebes, besonders, aber nicht ausschließlich, des politischen. Namentlich an jenen Wendepunkten – oder besser Wendeepochen –, in denen Vorhandenes abzusterben und in Neues überzugehen beginnt und die auch stets finanziell Krisen der jeweils alten Methoden sind, zeigt sich die ganze Fruchtbarkeit dieses Gesichtspunkts: Sowohl in der ursächlichen Bedeutung – insofern als staatsfinanzielle Vorgänge ein wichtiges Element des Ursachenkomplexes jeder Veränderung sind – als auch in ihrer symptomatischen Bedeutung – insofern als alles, was geschieht, sich in der Finanzwirtschaft abdrückt.“ Joseph A. Schumpeter 1918

  7. 1.3 Was spricht gegen eine Staatsverschuldung? Öffentliche Investitionen sind betriebswirtschaftlich in der Regel nicht rentierlich. Da die kreditfinanzierten Investitionen nicht zu Mehreinnahmen führen, verkleinern Zinsen und Tilgung die finanziellen Spielräume oder müssen mit Abgabenerhöhungen oder weiterer Kreditaufnahme finanziert werden. Crowding-out-Effekte: Verdrängung privater Nachfrage auf dem Geld- und Kapitalmarkt durch steigendes Zinsniveau infolge hoher staatlicher Nachfrage. Wirtschaftswachstum schwächer, wenn Schuldenquote größer als 90 Prozent * Intergenerative Gerechtigkeit (kann allerdings auch als Argument für Staatsverschuldung benutzt werden). Inflationsgefahren, wenn Staatsverschuldung zu hoch und über die Notenbank finanziert wird * Siehe Carmen M. Reinhart, Kenneth S. Rogoff, Growth in Time of Debt, Draft vom 31.12.2009.

  8. 1.4 Währung und Staatsverschuldung Schuldenquote v.H. NSP/BSP/BIP Mark Deutschmark (DM) Euro Reichsmark Goldstandard, ab 1931 Devisenzwangswirtschaft bis 1914 Goldstandard bis 1971/73 Dollar-Goldstandard, danach Floating Hyperinflation von 1923 Währungsreform von 1948

  9. 1.5 Größere Handlungsspielräume durch Staatsverschuldung? Mrd. Euro Quelle: Stefan Bajohr, Grundriss Staatliche Finanzpolitik. Eine praktische Einführung, Wiesbaden 2. Auflage 2007, 211 (Abbildung 24).

  10. 1.6 Wege aus dem Schuldenstaat Rechtliche Begrenzungen (u.a. Schuldenbremse) Insolvenz Inflation Nachhaltige Finanzpolitik

  11. 1.7 Versuche zur Begrenzung der Kreditaufnahme Versuche zur Begrenzung der Kreditaufnahme • Höhe der Investitionen = max. erlaubte Höhe der Neuverschuldung (Art. 115 GG) • Bis 1969 Kreditaufnahme nur für „außerordentlichen“ Bedarf, insbesondere für „werbende“ Zwecke (rentierliche Investitionen), erlaubt • 3. Historische Grundregel des Verbots der Schuldenaufnahme für laufende Ausgaben (nur Kassenkredite zur kurzfristigen Liquiditätssicherung) • 4. Euro-Kriterien als Grenze der Kreditaufnahme • 5. Fast völliges Verbot staatlicher Schuldenaufnahme durch die „Schuldenbremse“

  12. 1.8 Weiterführende Literatur zur Einführung in die Finanzgeschichte • Marc Hansmann, Vor dem dritten Staatsbankrott? Der deutsche Schuldenstaat in historischer und internationaler Perspektive, München 2. Aufl. 2012. • Ders., Wege in den Schuldenstaat. Die strukturellen Probleme der deutschen Finanzpolitik als Resultat historischer Entwicklungen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55 (3/2007), 425-461. • Karl Häuser, Abriß der geschichtlichen Entwicklung der öffentlichen Finanzwirtschaft, in: Handbuch der Finanzwissenschaft, hg. v. Fritz Neumark unter Mitwirkung v. Norbert Andel, Heinz Haller, Bd. 1, Tübingen 3. Aufl. 1977, 1-51. • Friedrich-Wilhelm Henning, Staatsfinanzen in historischer Perspektive, in: Klaus-Dirk Henke (Hg.), Zur Zukunft der Staatsfinanzierung, Baden-Baden 1999, 35-71. • Carmen M. Reinhart, Kenneth S. Rogoff, This Time Is Different. Eight Centuries of Financial Folly, Princeton, Oxford 2009. • Eckart Schremmer (Hg.), Steuern, Abgaben und Dienste vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1994. • Uwe Schultz (Hg.), Mit dem Zehnten fing es an. Eine Kulturgeschichte der Steuer, München 1986. • Hans-Peter Ullmann, Der deutsche Steuerstaat. Eine Geschichte der öffentlichen Finanzen, München 2005. • Währungen und Finanzgeschichte: • Peter Bernholz, Monetary Regimes and Inflation. History, Economic and Political Relationships, Cheltenham/Northampton 2003. • Deutsche Bundesbank (Hg.), Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876–1975, Frankfurt a.M. 1976. • Barry Eichengreen, Vom Goldstandard zum Euro. Die Geschichte des internationalen Währungssystems, Berlin 2000. • Stefan Homburg, Erinnerungen an die deutschen Währungsreformen, in: ifo Schnelldienst 64 (19/2011), 17-22.

  13. Freitag, 09.11.12, 16.15 - 17.45 Uhr 2. Strukturproblem der Staatsverschuldung

  14. 2.1 Staatsbankrott als häufiges historisches Phänomen

  15. 2.2 Entwicklung der deutschen Staatsverschuldung im 20. Jahrhundert v.H. NSP/BSP/BIP Finanz- und Bankenkrise Fiskalschock 2. Weltkrieg (Schuldenquote 1944: 400 %) Fiskalschock Deutsche Einheit Fiskalschock 1. Weltkrieg (Schuldenquote 1918: 300 %) Konjunktur- politik 70er Jahre 2. Staats- bankrott 1. Staats- bankrott Als Folge der Finanzierung der beiden Weltkriege und ihrer Folgen sowie des frühen Beginns und des dauernden Aus-baus des Sozialstaats liegt die Staatsquote bei knapp 50 %. Da Steuer- und Abgabenquote deutlich unter der Staats-quote liegen, hat der Staat eine erhebliche jährliche Deckungslücke, die mittels Neuverschuldung geschlossen wird. Quelle: Hansmann (2012), 15, 54; Daten für 2010: BMF-Monatsbericht August 2012, 72 (Tab. 9), 73 (Tab.10) und 80 (Tab. 14).

  16. 2.3 Entwicklung der amerikanischen Staatsverschuldung seit 1792

  17. 2.4 Entwicklung der britischen Staatsverschuldung seit 1688 v.H. BIP Quelle: Bis 1970: Albrecht Ritschl, Sustainability of High Public Debt: What the Historical Record Shows, London 1996 (= CEPR Discussion Papers 1357), 21 (Table 1); ab 1980: BMF-Monatsbericht August 2012, 80 (Tab. 14).

  18. 2.5 Entwicklung der Schulden von Bund, Ländern und Kommunen seit 1950 Mrd. Euro Quelle: Statistisches Bundesamt (Hg.), Finanzen und Steuern, Fachserie 14, Reihe 5: Schulden der öffentlichen Haushalte 2011, Wiesbaden 2012, 22 (Tabelle 1.1.1); Erläuterung: Schulden einschließlich Kassenkredite.

  19. 2.7 Ursachen der Staatsverschuldung Kriege Ausweitung der Staatsausgaben, insbes. im Sozialbereich Verfehlte Steuerpolitik (Steuern durch Steuern und Steuersenkungen) Bankenkrisen Fehlanreize im Föderalismus Politikversagen: Budgetmaximierung und Desinteresse an solider Finanzpolitik Anspruchsinflation der Bürger/innen

  20. 1963 1913 2007 1983 2.8 Entwicklung der Ausgabenstrukturen des Reichs-/Bundeshaushalts im 20. Jahrhundert Quelle: Für das Jahr 1913: Ullmann (2005), 62; für die restlichen Jahre: Bundeshaushalte der entsprechenden Jahre.

  21. 2.9 Säkulare Tendenzenin der Entwicklung der Ausgabenstrukturen Die Ausgabenstrukturen des nationalen Haushalts spiegeln drei säkulare Tendenzen wider: 1. Sinkender Anteil der Militärausgaben: Militarisierung bis 1945 und nachfolgende Entmilitarisierung; „Friedendividende nach Ende des Kaltes Krieges“; Ausblick: Zusätzlicher Ausgabenbedarf aufgrund Neuausrichtung der Bundeswehr 2. Deutlicher Anstieg der Renten-, Arbeitsmarkt- und Sozialausgaben: Ausbau des Sozialstaats, den sämtliche Staatsformen (Kaiserreich, Weimarer Republik, NS-Staat, Bonner und Berliner Republik) betrieben haben; Ausblick: Hohes Haushaltsrisiko aufgrund der demographischen und ökonomische Entwicklung 3. Anstieg der Zinsausgaben: Starke Kreditfinanzierung der Ausgaben; Staatsschulden zwei Mal (1923 und 1949) durch Inflation bzw. Währungsreform weitgehend reduziert; Ausblick: Ende der historischen Niedrigzinsphase als Haushaltsrisiko

  22. 2.10 Entwicklung der Staats- und Sozialleistungsquote im 20. Jahrhundert v.H. NSP/BSP/BIP Quelle Sozialleistungsquote: Für das Jahr 1913: Johannes Frerich, Martin Frey, Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Bd. 1: Von der vorindustriellen Zeit bis zum Ende des Dritten Reiches, München, Wien 1993, 175; für die rest- lichen Jahre bis 1950: Heinz Lamper, Jörg Althammer; Lehrbuch der Sozialpolitik, Berlin 8. Aufl. 2007, 510 (Tab. 18.1.); für die Jahre ab 1960: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hg.), Sozialbericht 2009, Bonn 2009, Tab. I-1 und 256 (Jahr 2010).

  23. 2.11 Warum wurde der Sozialstaat in Deutschland so früh und so stark ausgebaut? • Besonderheit der deutschen Geschichte (These von Bernd Weisbrod): Frühe Gründung einer sozialdemokratischen Partei (1863), die seit 1890 stärkste oder zumindest zweitstärkste Partei ist und folgende (finanzpolitische) Ziele der SPD verfolgt: • - stark progressive Einkommensteuer als einzige Steuer (explizit gegen Mehrwertsteuer) • - weitgehende Umverteilung, insbesondere durch Einkommensteuer und Sozialstaat • - einheitliche Lebensverhältnisse und Unitarismus • Konservative Reaktion auf den Erfolg der SPD: Frühe Einführung und der Ausbau des Sozialstaats: • - Einführung der Renten- und Krankenversicherung durch Bismarck • - Einführung der Arbeitslosenversicherung durch eine konservativ geführte Reichsregierung (1927) • - Einführung der dynamischen Rente 1957 durch Adenauer und des Kindergeldes durch Erhard (1964) • - Einführung der Pflegeversicherung durch Kohl/Blüm • - Einführung der preußischen Einkommensteuer durch den Nationalkonservativen Miquel • - Durchsetzen einer stark progressiven Einkommensteuer und des Unitarismus durch Erzberger (Zentrum) • - Nutzung der Einkommensteuer als Instrument der Umverteilung durch sämtliche Regierungen seit 1919 • - Konzeption und Einführung des horizontalen Finanzausgleichs durch den Nationalkonservativen Popitz • - Einführung des Verbundsystems durch die Große Koalition im Jahre 1969

  24. 2.12 Weiterführende Literatur zur Geschichte der Staatsverschuldung • Werner Abelshauser, Wege aus der Staatsverschuldung. Eine Skizze, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 98 (3/2011), 300-306. • Alberto Alesina, The end of large public debts, in: Francesco Giavazzi, Luigi Spaventa (Hg.), High Public Debt. The Italian Experience, Cambridge 1989, 35-89. • Rolf Caesar, Öffentliche Verschuldung in Deutschland seit der Weltwirtschaftskrise: Wandlungen in Politik und Theorie, in: Dietmar Petzina (Hg.), Probleme der Finanzgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Berlin 1989, 9-55. • Hans Günter Hockerts, Der deutsche Sozialstaat. Entfaltung und Gefährdung seit 1945, Göttingen 2011. • Carl-Ludwig Holtfrerich, Bewältigung der deutschen Staatsbankrotte 1918 und 1945, in: Erhard Kantzenbach (Hg.), Staatsüberschuldung, Göttingen 1996, 27-57. • Kai A. Konrad, Holger Zschäpitz, Schulden ohne Sühne? Warum der Absturz der Staatsfinanzen uns alle betrifft, München 2010. • Alfred Manes, Staatsbankrotte. Wirtschaftliche und rechtliche Betrachtungen, Berlin 2. Aufl. 1919. • Horst Claus Recktenwald, Umfang und Struktur der öffentlichen Ausgaben in säkularer Entwicklung, in: Handbuch • der Finanzwissenschaft, hg. v. Fritz Neumark, Bd. 1, Tübingen 3. Aufl. 1977, 713-752. • Carmen M. Reinhart, M. Belen Sbrancia, The Liquidation of Government Debt, Cambridge, Mass. 2011 (= NBER Working Paper 16893). • Gerhard A. Ritter, Der Sozialstaat. Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich, München 3. Aufl. 2010. • Manfred G. Schmidt, Sozialpolitik in Deutschland. Historische Entwicklung und internationaler Vergleich, Wiesbaden 3. Aufl. 2005. • Moritz Schularick, Public Debt and Financial Crises in the Twentieth Century, Berlin 2012 (= Discussion Paper School of Business & Economics Freie Universität Berlin 2012/1) • Roland Sturm, Staatsverschuldung. Ursachen, Wirkungen und Grenzen staatlicher Verschuldungspolitik, Opladen 1993. • Vito Tanzi, Ludger Schuknecht, Public Spending in the 20th Century. A Global Perspective, Cambridge 2000. • Michael Waibel, Staateninsolvenzen in historischer Perspektive, in: Georg E. Kodek, August Reinisch (Hg.), Staateninsolvenz, Wien 2011, 55-94.

  25. Freitag, 23.11.12, 14.30 - 16.00 Uhr 3. Strukturproblem der Finanzverfassung

  26. 3.1 Trenn- versus Mischsystem Trennsystem Verbundsystem Beschreibung Strikte Trennung der Ein-nahmen und Aufgaben der Gebietskörperschaften Beteiligung jeder Gebiets-körperschaften an sämt-lichen Steuern; Misch-finanzierung der Aufgaben nicht vorhanden oder schwach ausgeprägt stark ausgebaut Horizontaler Finanzausgleichs Unitarismus Leitbild Subsidiarität Konkordanzföderalismus Charakter Wettbewerbsföderalismus In der Geschichte des 20. Jahrhunderst gibt es meistens ein Mischsystem, in dem jedoch entweder die Elemente des Trenn- oder des Verbundsystems überwiegt.

  27. 3.2 Entwicklung des Finanzausgleichs im 20. Jahrhundert • Entwicklung des vertikalen Finanzausgleichs als Ausdruck des traditionell starken Föderalismus • - 1871: Gründung des deutschen Nationalstaats als „Bund deutscher Fürsten“ • - Trennsystem im Kaiserreich: Reich als Kostgänger der Länder • - Miquelsche Finanzreform von 1891/93: Stärkung der Kommunalfinanzen • - Zäsur der Erzbergerschen Finanzreform von 1919/20: Entstehung des unitarischen Bundesstaats • - „Permanent vorläufiger Finanzausgleich“ in der Weimarer Republik • - Ausschaltung der Länder in der NS-Zeit • - Alliierten erzwingen 1949 ein Trennsystem, das aber nicht Verfassungswirklichkeit wird • - Große Finanzreform von 1969: Verbundsystem/Unitarismus mit Bundesrat als Korrektiv (später als Blockadeinstrument benutzt) • Entwicklung des horizontalen Finanzausgleichs mit dem Ziel einheitlicher Lebensverhältnisse • - Forderungen bereits im Kaiserreich (insbesondere Finanzausgleich zwischen armen und reichen Städten) • - Anfänge in der Weimarer Republik • - Gutachten von Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden (1932) • - Ausbau in der Bundesrepublik, insbesondere ab 1969 (Leitbild des kooperativen Föderalismus) • - „unsichtbarer“ Finanzausgleich über die Sozialversicherungen In Finanzgeschichte des 20. Jahrhunderts ist das Problem des Finanzausgleichs nie zufriedenstellend gelöst worden.

  28. 3.3 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften im Kaiserreich

  29. 3.4 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften in der Weimarer Republik

  30. 3.5 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften im NS-Staat

  31. 3.6 Kompetenzverteilung auf die Gebietskörperschaften in der Bundesrepublik

  32. 3.7 Ertragshoheit über die Einkommensteuer im 20. Jahrhundert v.H. Die Ertragshoheit über die Einkommensteuer entwickelt sich im 20. Jahrhundert eindeutig in Richtung der nationalen Ebene, und zwar vor allem auf Kosten der Kommunen. Diese besitzen bis zum Ersten Weltkrieg durch das Zuschlagsrecht den größten Aufkommensanteil und werden in den 50/60er Jahren überhaupt nicht an der Einkommensteuer beteiligt. Quelle: Hansmann (2000), passim.

  33. 3.8 Ertragshoheit über die Umsatzsteuer im 20. Jahrhundert v.H. Als indirekte Steuer gehört die Umsatzsteuer traditionell zur nationalen Ebene. Im Rahmen des 1969 eingeführten bzw. ausgebauten Verbundsystems werden die Länder mit zunächst 30 % beteiligt. Seitdem steigt der Länderanteil deutlich an (u.a. 1995/96 wegen der Einbeziehung der neuen Bundesländer in den FAG sowie der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs). Quelle: Für die Jahre bis 1969: Hansmann (2000), passim; für die Jahre ab 1970: BMF, Finanzplan des Bundes 2004 bis 2008, 77 (Schaubild 17) und Finanzplan des Bundes 2009 bis 2013, 71 (Schaubild 16) .

  34. 3.9 Anteil der einzelnen Gebietskörperschaften am gesamten Steueraufkommen Das Popitzsche Gesetz von der Anziehungskraft des zentralen Etats lässt sich eher bezüglich der Länder- als der Bundeseinnahmen bestätigen. Die Länder weiten ihre Steuereinnahmen 1920/25 und vor allem 1950 auf Kosten der Kommunen aus. Seit 1990 verschieben sich die Gewichte zwischen Bund und Ländern zugunsten der letzteren. Quelle: Für die Jahre bis 1990: Hansmann (2007), 453; für die Jahre ab 2000: BMF, Finanzplan des Bundes 2009 bis 2013, 70 (Schaubild 15) .

  35. 3.10 Anteil der einzelnen Gebietskörperschaften an den gesamten Staatsausgaben Auf der Ausgabenseite wird die wichtige Stellung der Kommunen deutlich. Zwar werden sie im Laufe des 20. Jahrhundert zur Gebietskörperschaft mit den geringsten Ausgaben, doch ihr Ausgabenanteil reduziert sich nur um 9 Prozentpunkte (Steueranteil im Vergleich um 24 Prozentpunkte). Quelle: Für die Jahre bis 2000: Hansmann (2007), 454; für das Jahr 2009: BMF-Monatsbericht Juli 2010, 114 (Tab. 7), eigene Berechnung.

  36. 3.11 Strukturprobleme der Länderfinanzen am Beispiel von Niedersachsen • Strukturprobleme • Keine Einnahmenautonomie • Hohe Fixkosten • Schlechte Ausgabenqualität • Hohes strukturelles Defizit • Hoher Schuldenstand (Gefahr der Schuldenfalle)

  37. 3.12 Steuereinnahmen des Landes Niedersachsen seit 1990 Mit Ausnahme der Grunderwerbsteuer kann das Land seine Einnahmen kaum beeinflussen. Quelle: Niedersächsisches Finanzministerium, Niedersächsische Haushalts- und Finanzpolitik, S. 9.

  38. 3.13 Ausgabenstruktur des Landes Niedersachsen (Haushalt 2011) Von den rd. 10 Mrd. € Zuweisungen und Zuschüsse erhalten die Kommunen 6,5 Mrd. €. Quelle: www.mf.niedersachsen.de und Niedersächsisches Finanzministerium, Niedersächsische Haushalts- und Finanzpolitik, S. 28, eigene Darstellung.

  39. 3.14 Anteil der Versorgungs- und Zinsausgaben an den Gesamtausgaben des Landes Niedersachsen 20 % Quelle: Niedersächsisches Finanzministerium, Niedersächsische Haushalts- und Finanzpolitik, S. 29.

  40. 3.15 Nettokreditaufnahme und Kreditfinanzierungsquote des Landes Niedersachsen seit 1950 Mio. Euro (Nettokreditaufnahme) Prozent (Kreditfinanzierungsquote) Quelle: MF Niedersachsen

  41. 3.16 Verschuldung des Landes Niedersachsen seit 1990 Quelle: www.mf.niedersachsen.de

  42. 3.17 Summierte Nettokreditaufnahme und Zinsausgaben 2000 bis 2010 Mio. € Die Zinsausgaben übersteigen im Zeitraum von 2000 bis 2010 insgesamt die entsprechende Nettokreditaufnahme. Quelle: Niedersächsisches Finanzministerium, eigene Berechnungen.

  43. 3.18 Weiterführende Literatur zur Geschichte der Finanzverfassung • Charles B. Blankart, Föderalismus in Deutschland und Europa, Baden-Baden 2007 (= Neue Studien zur Politischen Ökonomie Bd. 1). • Marc Hansmann, Kommunalfinanzen im 20. Jahrhundert. Zäsuren und Kontinuitäten: Das Beispiel Hannover, Diss. Hannover 1999, Hannover 2000. • Karl-Heinrich Hansmeyer, Manfred Kops, Die wechselnde Bedeutung der Länder in der deutschen Finanzverfassung seit 1871, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 125 (1989), 63-85. • Carsten Hefeker, The agony of central power: Fiscal federalism in the German Reich, in: European Review of Economic History 5 (2001), 119-142. • Jürgen W. Hidien, Der bundesstaatliche Finanzausgleich in Deutschland. Geschichtliche und staatsrechtliche Grundlagen, Habil. Kiel 1998, Baden-Baden 1999. • Dietmar Petzina, Veränderte Staatlichkeit und kommunale Handlungsspielräume – historische Erfahrungen in Deutschland im Bereich der Finanzpolitik, in: Dieter Grimm (Hg.), Staatsaufgaben, Baden-Baden 1994, 233-260. • Wolfgang Renzsch, Finanzverfassung und Finanzausgleich. Die Auseinandersetzungen um ihre politische Gestaltung in der Bundesrepublik Deutschland zwischen Währungsreform und deutscher Vereinigung (1948-1990), Habil. Göttingen 1991, Bonn 1991 (= Politik- und Gesellschaftsgeschichte Bd. 26). • Peter-Christian Witt, Ders., Finanzen und Politik im Bundesstaat Deutschland 1871-1933, in: Jochen Huhn, Peter-Christian Witt (Hg.), Föderalismus in Deutschland. Traditionen und gegenwärtige Probleme, Baden-Baden 1992, 75-99.

  44. Freitag, 23.11.12, 16.15 - 17.45 Uhr 4. Strukturproblem des Steuerrechts

  45. 4.1 Vom Domänen- zum Steuerstaat Domänenstaat Steuerstaat Ertragsteuern Einkommensteuer Umsatzsteuer 1650 1700 1750 1800 1850 1900 1950

  46. 4.2 Liberale versus „linke“ Steuerpolitik • „Linker“ Ansatz • „Bürger, deren Einkommen das nicht über-steigen, was für ihre elementaren Bedürf-nisse notwendig ist, sollen von Leistungen für öffentlichen Ausgaben freigestellt werden; die anderen sollen diese gemäß ihrem Vermögen ansteigend unterstützen.“ (Maximilien de Robespierre) • „Starke Progressivsteuer“ (Karl Marx, Kommunistisches Manifest von 1848) • „Eine einzige progressive Einkommensteuer für Staat und Gemeinde, anstatt aller bestehenden, insbesondere der das Volk belastenden indirekten Steuern.“ (Gothaer Programm der SPD von 1875) • Liberaler Ansatz • „Die Untertanen jeden Staates sollten zur Unterstützung der Regierung soweit wie möglich im Verhältnis zu ihren jeweiligen Fähigkeiten beitragen; das heißt im Verhältnis zu den Einkünften, derer sie sich jeweils unter dem Schutz des Staates erfreuen.“ (Adam Smith) • „Ich werfe also dem jetzigen Zustande vor, dass er viel zu viel von den direkten Steuern verlangt, zu wenig von den indirekten, und ich strebe danach, direkte Steuern abzuschaffen und [...] durch indirekte Steuern zu ersetzen.“ (Bismarck 1879) • Einkommensteuer allenfalls in Form einer „flat tax“ oder eines Stufentarifs

  47. 4.3 Traditionelle Ertragsteuern (z.B. Württemberg 1821) • Liberaler Ansatz, die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger unbedingt zu schützen. Das persönliche Einkommen ist Privatsache. Das schließt Selbstdeklaration und staatliche Überprüfungen aus. Steuerveranlagung daher nur anhand äußerlicher Merkmale, wie z.B. Anzahl der Fenster oder Beschäftigten, die sichtbare Kapitalausstattung, Durchschnitterträge. Anfang des 18. Jh. wird es als gerecht empfunden, dass der derjenige, der schlecht wirtschaftet, genauso viele Steuern (z.B. gemessen anhand eines durchschnittlichen Bodenertrags) zahlt, wie ein „Tüchtiger“. • Ideale Umsetzung durch Ertragsteuern = Steuern auf Objekte, also Gebäude, Grund und Boden, Gewerbebetriebe, und zwar in Höhe des im Durchschnitt erzielbaren, geschätzten (Rein-) Ertrags (Rohertrag abzüglich Produktionskosten). • Problem der schwierigen Erhebung: umfassendes Kataster für den geschätzten Ertragswert von jedem Gebäude, jeder Parzelle und jedem Gewerbebetrieb nötig einschließlich dessen Pflege. • Im Zuge der Industrialisierung steigt der Ertragswert der Betriebe erheblich, ohne dass dies laufend angepasst werden kann: Daher überproportionale Belastung der Landwirtschaft im 19. Jh. und (anfänglich) unintendierte Förderung des Strukturwandels. • Keine dynamische Einnahmequelle, da Steuern nicht konjunkturreagibel sind und in Form von Umlagen erhoben werden. Steuern haben eine feste Summe zu bringen, die vom Haushaltsplan bestimmt wird. Diese Summe wird zunächst anteilig verteilt auf die Objektarten (also Gebäude, Grund und Boden, Gewerbebetriebe) und dann gemäß des Katasteranschlags auf das einzelne Objekt verteilt.

  48. 4.4 Entstehung der Einkommensteuer • Anstelle der gemeindeüblichen durchschnittlich-möglichen Erträge einzelner Objekte soll bei der Einkommensteuer das tatsächlich erzielte gesamte Einkommen einer Person besteuert werden. Die Steuerlast entspricht der Leistungsfähigkeit. Der „Tüchtige“ zahlt also mehr als der „Unfähige“ oder „Faule“. • Das „unfundierte“ Einkommen aus Arbeit und Kapital wird erstmals vollständig besteuert. • Einkommensteuer ist aufkommensstärker und leichter zu erheben (Selbstdeklaration) als die traditionellen Ertragsteuern. • Grundproblem: Wie wird das zu versteuernde Einkommen (Bemessungsgrundlage) definiert? • erste moderne deutsche Einkommensteuer in Sachsen 1874/88 • Einführung durch Miquel in Preußen 1891 (erst nach Ende der „Ära Bismarck“ möglich) • Fortentwicklung durch Erzberger/Popitz (1919/25), u.a. Ergänzung durch Körperschaftsteuer • Das preußische Steuergesetz ist bis heute die Grundlage der Einkommenssteuer. • Einkommensteuer kann als Mittel zur Umverteilung eingesetzt werden. Daher fordert die SPD eine Einkommensteuer seit ihrer Gründung im Jahre 1863 und herrscht ein hoher Widerstand gegen ihre Einführung in Preußen.

  49. 4.5 Die Pflicht zur Einkommensteuererklärung Die Bürger müssen zum ersten Mal in der Geschichte dem Staat ihr vollständiges Einkommen offen legen. Dagegen gibt es erheblichen Widerstand: „Ganz verwerflich als eine Ausgeburt verkehrtester Finanzpolitik ist der sogenannte Fassion. Dieselbe besteht darin, dass der Steuerpflichtige den betreffenden Staatsbeamten sein Einkommen summarisch, am liebsten haarklein darlegt. … Die Methode ist freilich practiziert worden u.a. im Königreich Sachsen. Die Folge ist aber allerwege, dass dem Staat eine schwere Last von Lügen aufgebürdet wird, deren Schuld ganz allein auf ihn fällt. Denn das gestellte Verlangen ist eine Thorheit und ein Rechtsüberschreitung… Die Fanatiker der Fassion, welche Theils pedantische Ausläufer der Bureaukratie theils Kinder eines unreifen Idealismus sind, … diese Fanatiker haben zuweilen terroristische Maßregeln vorgeschlagen, um die Wirksamkeit der Fassion zu sichern, z.B. … inquisitorische Befugnisse der Behörden. Die Folge wird stets sein, dass man vieles Vermögen aus dem Lande scheucht, anderem [Vermögen] Verbergungskünste aufdrängt… Es ist sehr schlimm, wenn es ein Gebiet gibt, wo beinahe jedermann lügt, wo jeder vom anderen weiß, dass er lügt, und doch der Schein der Wahrheit immerfort erheuchelt werden muss. Der Staat hat nach dem Einkommen gar nichts zu fragen.“ Prof. Rößer 1873 in einem Gutachten für den Verein für Socialpolitik

  50. 4.6 Die erste deutschen Einkommensteuer in Sachsen 1874/78 • Hintergrund: Frühe Industrialisierung und Gründung der SPD in Sachsen • Selbstangabe des Einkommens auf einem vorgeschriebenen Deklarationsformular erforderlich • Tarif setzte mit 1/6 % bei einem Einkommen von 301 Mark ein und endete bei 3 % ab einem Einkommen von über 5400 Mark. • Weitgehende Definition des Einkommens: Einkommen sind – ohne Rücksicht auf die Quelle – alle in Geld oder Geldeswert bestehenden Einnahmen, mit Einschluss des Mietwerts der Wohnung im eigenen Haus oder sonstiger freier Wohnung sowie des Werts der verbrauchten Erzeugnisse aus eigener Landwirtschaft und eigenem Gewerbebetrieb. • Einführung eines „Verbrauchseinkommens“ (= Verbrauchsaufwand) zur Lösung des Problems, wenn ein hoher Lebensstandard nicht mit dem niedrig deklarierten Einkommen übereinstimmt: „Ist das Einkommen einer Person … geringer als die Summe, welche sie zur Bestreitung des Unterhalts für sich und die von ihr unterhaltenen Personen … aufwendet, so kann diese Summe … als Betrag des Einkommens angenommen werden.“ (§ 15) Die Veranlagung erfolgte durch eine Einschätzungs-kommission mit Fragerecht. • Heranziehung der Vorschriften des ab 1869 geltenden Allgemeinen Handelsgesetzbuches (AHGB) zur Lösung des Problems der Bemessungsgrundlage bei der Unternehmensbesteuerung

More Related