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Zwischenstaatlichkeit und Kartellrecht. Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen - wann kommt europäisches, wann kommt nationales Kartellrechts zur Anwendung? Dr. Theodor Taurer 26.11.2004. Leitlinien „zwischenstaatlicher Handel“.
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Zwischenstaatlichkeit und Kartellrecht Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen - wann kommt europäisches, wann kommt nationales Kartellrechts zur Anwendung? Dr. Theodor Taurer 26.11.2004
Leitlinien „zwischenstaatlicher Handel“ Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels in den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag (ABl. Nr. C 101 vom 27.04.2004, S. 81) • Abgrenzung zwischen der obligatorischen Anwendung von EU-Recht und alleiniger Anwendung von nationalem Recht (Art. 3 (1) VO 1) • inhaltliche Vorrangregel (Art. 3(2) VO 1) • neu: die doppelte Spürbarkeit - Abgrenzung NAAT-Regel/ de minimis Regel
Relevanter Text Art. 81 (1) EG Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten (spürbar) zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs (spürbar) innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, insbesondere [...]
Relevanter Text des Art. 82 EG Mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschen- den Stellung auf dem Gemeinsamen Markt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten (spürbar) zu beeinträchtigen.
Überblick - Allgemeiner Teil • „Handel zwischen den Mitgliedstaaten“ • „zur Beeinträchtigung geeignet“ • hinreichende Wahrscheinlichkeit • Art der Beeinflussung • unmittelbare/mittelbare; tatsächliche/potentielle Beeinträchtigung • „Spürbarkeit“ • NAAT - Regel
Begriff „Handel zwischen Mitgliedstaaten“ • Handel = alle grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Tätigkeiten; auch mögliche Ausschaltung eines Wettbewerbers in der Gemeinschaft • zwischen mindestens zwei Mitgliedstaaten oder Teilgebieten zweier Mitgliedstaaten • zwischenstaatliche Handelsbeeinträchtigung versus relevanter Markt
„zur Beeinträchtigung geeignet“ • hinreichende Wahrscheinlichkeit aufgrund objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände • Beeinflussung des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten • unmittelbare oder mittelbare, tatsächliche oder potenzielle Beeinträchtigung des Warenverkehrs - keine spekulativen und hypothetischen Auswirkungen
Zur hinreichende Wahrscheinlichkeit aufgrund objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände I • subjektiver Wille der Unternehmen nicht erforderlich • Eignung bzw. hinreichende Wahrscheinlichkeit ist eine Wertungsfrage • keine präzise Bewertung
Zur hinreichende Wahrscheinlichkeit aufgrund objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände II relevante Faktoren: • Art der Vereinbarung oder des Verhaltens (eingehende Analyse oder dem Wesen nach?); gilt nicht im Anwendungsbereich der NAAT-Regel!! • Art der erfassten Produkte • Marktstellung und Umsatz der beteiligten Unternehmen • sonstige Faktoren des rechtlichen und sozialen Umfeldes
Zur Art der Beeinflussung des Warenverkehrs • Neutralität = Handel entwickelt sich anders als ohne Vereinbarung/ Verhaltensweise
Zur unmittelbaren oder mittelbaren, tatsächlichen oder potenziellen Beeinträchtigung des Warenverkehrs • unmittelbare Auswirkung: auf Produkte, die Gegenstand der Vereinbarung/ Verhaltensweise sind („Kartellprodukte“) • mittelbare Auswirkung: auf mit Produkten, die Gegenstand der Vereinbarung/ Verhaltensweise sind, verwandte Produkte bzw. damit in Zusammenhang stehenden Nebenleistungen • tatsächliche Auswirkung: aufgrund der Durchführung der Vereinbarung/ Verhaltensweise entstanden (Eignung genügt!) • potentielle Auswirkung: werden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der Zukunft entstehen (vorhersehbare Marktentwicklung!) keine spekulativen und hypothetischen Auswirkungen
Begriff „Spürbarkeit“ I RZ 45 Die Beurteilung der Spürbarkeit ist abhängig von den in jedem Einzelfall vorherrschenden Umständen, insbesondere von der Art der Vereinbarung und Verhaltensweise, der Art der erfassten Waren und der Marktstellung der beteiligten Unternehmen. Wenn eine Vereinbarung oder Verhaltensweise ihrem Wesen nach geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, ist die Schwelle für die Spürbarkeit niedriger anzusetzen als bei Vereinbarungen und Verhaltensweisen, die ihrem Wesen nach nicht geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Je stärker die Marktstellung der beteiligten Unternehmen ist, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten durch eine Vereinbarung oder Verhaltensweise als spürbar einzustufen ist.
Begriff „Spürbarkeit“ II • quantitatives Teilelement der Zwischenstaatlichkeit • Berechnung anhand des Umsatzes mit den von der Vereinbarung oder Verhaltensweise erfassten Waren (absolut) und Marktstellung der beteiligten Unternehmen (relativ), aber geringerer Aufwand als bei Marktbestimmung • Berücksichtigung von parallelen negativen Netzwerkeffekten, aber Voraussetzung: Beitrag der einzelnen Vereinbarung oder des Netzes zur Auswirkung auf den Handel!!! NAAT-Regel
NAAT* - Regel allgemein • widerlegbare Negativvermutung • keine Vermutung, dass nicht erfasste Vereinbarungen/ Verhaltensweisen jedenfalls Zwischenstaatlichkeit erfüllen • gilt für alle Beschränkungen • Unteilbarkeit bei Vereinbarungen, die Bestandteil des gleichen wirtschaftlichen Vorganges sind. * no appreciable affection of trade
NAAT - Regel - quantitativ • gemeinsamer Marktanteil aller Beteiligten auf keinem betroffenen Markt > 5% und • horizontal: Gesamtjahresumsatz der Beteiligten innerhalb der Gemeinschaft mit dem betroffenen Produkt < 40 Mio € oder • vertikal: Gesamtumsatz des Lieferanten (bei Bezugsvereinbarungen: des Käufers) innerhalb der Gemeinschaft mit dem betroffenen Produkt < 40 Mio € oder • Lizenzvereibarungen: Gesamtumsatz der Lizenznehmer und Lizenzgeber mit betroffenen Produkten < 40 Mio €
NAAT-Regel - quantitativ II • Flexibilität: Überscheitung des Umsatzes um max. 10%, des Marktanteiles um max. 2% während zweier aufeinander folgender Jahre • NAAT-Regel gilt nicht bei in Entstehung begriffenen Märkten (Marktstellung auf benachbarten Produktmärkten!) • bei Vereinbarungen/ Verhaltensweisen, die dem Wesen nach geeignet sind, den zwischen-staatlichen Handel zu beeinträchtigen widerlegliche positive Vermutung der Spürbarkeit wenn Umsatz > 40 Mio €
Überblick - Fallgruppen • Fallgruppe 1: V/V, die mehrere MS betreffen oder in mehreren MS durchgeführt werden • Fallgruppe 2: V/V, die einen einzigen MS oder einen Teil eines MS betreffen • Fallgruppe 3: V/V betreffend Einfuhren und Ausfuhren mit Unternehmen in Drittländern und V/V betreffend Unternehmen in Drittländern
Fallgruppe 1: „Betroffenheit mehrerer Mitgliedstaaten“ Allgemeiner Grundsatz: • „fast immer“ dem Wesen nach geeignet, Zwischenstaatlichkeit zu erfüllen • widerlegbare positive Vermutung oberhalb der NAAT-Schwellenwerte • eingehende Untersuchung normalerweise nicht erforderlich
Beispiele für Fallgruppe 1 • Vereinbarungen über Ein- und Ausfuhren • Kartelle, die mehrere MS erfassen • Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, die mehrere MS erfassen • vertikale Vereinbarungen, die in mehreren MS durchgeführt werden • missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung in mehreren MS
Vereinbarungen über Ein- und Ausfuhren • Bsp.: Vereinbarung zwischen Produzenten (F) und Vertriebshändler (D) über 10% des jährlichen Gesamtexportvolumens des Produktes X von F nach D • Beschränkungen deren Zweck es ist, den Warenverkehr zwischen MS zu beeinträchtigen (auch wenn alle beteiligten Unternehmen nur in einem MS ansässig sind)
Kartelle, die mehrere MS erfassen • Price fixing, Marktaufteilung, Quotenabsprachen verfestigen angestammte Handelsströme • Grenzüberschreitende Kartelle werden von Unternehmen gebildet, die einen großen Marktanteil halten.
Horizontale Zusammenarbeit v.a. (Nichtvollfunktions-) Gemeinschaftsunternehmen • gemeinsame Produktion bzw. Vertrieb • Zwischenprodukte Berechnung der Umsatzschwelle: Umsatz GU + betroffener Umsatz MU
Vertikale Vereinbarungen, die in mehreren MS durchgeführt werden Einzelvereinbarungen und Netze paralleler Verträge • selektive Vertriebsvereinbarungen • Vereinbarungen mit Marktabschottungswirkungen • Preisbindungen
Missbräuche einer beherrschenden Stellung • Beispiele für Ausbeutungsmissbrauch • Beispiele für Behinderungsmissbrauch Sobald Gefahr besteht, dass die wirksame Wettbewerbsstruktur in der Gemeinschaft beeinträchtigt wird, ist Gemeinschaftsrecht anwendbar.
Fallgruppe 2: „Betroffenheit eines einzigen MS oder eines Teiles eines MS Allgemeiner Grundsatz: • genaue Untersuchung notwendig • keine positive Vermutung oberhalb der NAAT-Schwellenwerte • Art der Zuwiderhandlung und Eignung zur Marktabschottung bieten Hinweise für Vorliegen der Zwischenstaatlichkeit
Beispiele für Fallgruppe 2 • Kartelle, die nur einen einzigen MS betreffen • Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit in einem einzigen MS • vertikale Vereinbarungen, die einen einzigen MS betreffen • Vereinbarungen, die nur einen Teil eines MS erfassen • missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung in nur einem MS • missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung in nur einem Teil eines MS
Kartelle, die nur einen einzigen MS betreffen • Horizontale Kartelle, die sich auf das gesamte Gebiet eines MS erstrecken (Rs Wouters) • Ausn. Rs Bagnasco (begr. Handelspotential der Produkte; keine Eintrittsschranke für ausl. Unternehmen) • Maßnahmen von Kartellmitgliedern gegen ausländische Wettbewerber: • Preisbeobachtung • Verleitung, sich an der Absprache zu beteiligen
RZ 95, Rs Wouters, C 309/99 Was die Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels angeht, so hat ein Kartell, das sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstreckt, schon seinem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen, indem es die vom Vertrag gewollte wirtschaftliche Verflechtung behindert (...).
RZ 51, Rs Bagnasco, C-215,216/96 Die Kommission, der die ABI die Frage der Vereinbarkeit der Klauseln über die General-bürgschaft mit Artikel 85 EG-Vertrag vorgelegt hatte, stellte fest, daß die betreffende Bankdienstleistung nur einen sehr beschränkten Einfluß auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten habe und daß auch die Beteiligung von Tochtergesellschaften und Zweigstellen nichtitalienischer Finanzinstitute gering sei (vgl. Randnr. 15). Außerdem hat die Kommission in Beantwortung einer Frage des Gerichtshofes ausgeführt, die mit einer Generalbürgschaft verbundenen Kreditverträge hätten für die Hauptkundschaft der ausländischen Banken, bei der es sich um Großunternehmen und ausländische Wirtschaftsteilnehmer handele, keine große, jedenfalls aber keine ausschlaggebende Bedeutung für die Entscheidung ausländischer Banken, sich in Italien niederzulassen. Denn Verträge wie die in den Ausgangsverfahren streitigen würden von diesem Kundenkreis nur selten geschlossen. Diese Feststellungen der Kommission wurden im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht entkräftet.
Horizontale Zusammenarbeit in nur einem MS • Marktabschottung: z.B Normen und Zertifizierungen • Verringerung der Zahl der Vertriebswege • Substitution des Imports durch ProduktionsGU
Vertikale Vereinbarungen, die einen einzigen MS betreffen • Abschottungseffekt (z.B. Alleinbezugsverpflichtungen, Rs Delimitis), Wirkung des eigenen Netzes und paralleler Netze • Preisbindungen
RZ 27, Rs Delimitis, C-234/89 (...), daß ein Bierlieferungsvertrag nach Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verboten ist, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Erstens muß unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Begleitumstände des streitigen Vertrags der nationale Markt für den Absatz von Bier in Gaststätten für Mitbewerber, die auf diesem Markt Fuß fassen oder ihren Marktanteil vergrössern könnten, schwer zugänglich sein. Daß der streitige Vertrag zu einem Bündel gleichartiger Verträge auf diesem Markt gehört, die sich kumulativ auf den Wettbewerb auswirken, ist nur einer unter mehreren Faktoren, anhand deren zu beurteilen ist, ob dieser Markt tatsächlich schwer zugänglich ist. Zweitens muß der streitige Vertrag in erheblichem Masse zu der Abschottungswirkung beitragen, die das Bündel dieser Verträge aufgrund ihres wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhangs entfaltet. Die Bedeutung des Beitrags des einzelnen Vertrags hängt von der Stellung der Vertragspartner auf dem relevanten Markt und von der Vertragsdauer ab.
Vereinbarungen, die nur einen Teil eines MS umfassen • Wie groß ist der betroffene regionale Teilmarkt im Verhältnis zum nationalen Gesamtmarkt? • Vereinbarungen von rein lokaler Bedeutung • Judikatur „wesentlicher Teil des Gemeinsamen Markte“ z.B. Rs Porto di Genova
RZ 15, Rs MERCI CONVENZIONALI PORTO DI GENOVA, C-179/90 Bezüglich der Abgrenzung des relevanten Marktes geht aus der Vorlageentscheidung hervor, daß es sich hierbei um den Markt der Organisation der die gewöhnliche Fracht betreffenden Hafenarbeiten im Hafen von Genua für Rechnung Dritter sowie der Durchführung dieser Arbeiten handelt. Insbesondere angesichts des Umfangs des Frachtverkehrs in dem genannten Hafen und der Bedeutung dieses Verkehrs für die gesamte Ein- und Ausfuhr auf dem Seewege in den betreffenden Mitgliedstaat kann dieser Markt als ein wesentlicher Teil des Gemeinsamen Marktes angesehen werden.
Missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung in einem MS • Behinderungsmissbrauch erfüllt nur dann die Zwischenstaatlichkeit nicht, wenn die wirtschaftlichen Aktivitäten des Opfers sich nur auf einen MS beschränken. • Marktabschottung (Bsp. Treuerabatte) • Ausschaltung von Wettbewerbern • abschreckende Wirkung • Ausbeutungsmissbrauch gegen rein national agierende Opfer sind eher nationalem Recht unterworfen. jedoch beherrschende Stellung erstreckt sich auf gesamtes Gebiet eines MS? (RZ 96)
Missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung in einem Teil eines MS • „wesentlicher Teil des Gemeinsamen Marktes“ • Infrastruktureinrichtungen
Fallgruppe 3: „Betroffenheit des Handels mit Drittländern“ Allgemeiner Grundsatz: • Wirkungsprinzip • Vereinbarungen betreffend Einfuhr/ Ausfuhr sind dem Wesen nach geeignet, Zwischenstaatlichkeit zu erfüllen • Ist es Zweck der Vereinbarung den Handel in der Gemeinschaft zu beschränken? • Vereinbarungen mit anderer Zielrichtung müssen eingehend untersucht werden.