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Vorlesung:. Bachelor - Studiengang : Profilmodul ‚Politische Systeme‘ Kleines M odul ‚Politische Systeme‘ Großes Modul ‚PolitischeSysteme‘. Systemvergleich I: Grundlagen und freiheitliche Systeme Teil D: Leistungsfähigkeit und Voraussetzungen von Demokratien. Gedankengang.

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  1. Vorlesung: • Bachelor - Studiengang: • Profilmodul ‚Politische Systeme‘ • Kleines Modul ‚Politische Systeme‘ • Großes Modul ‚PolitischeSysteme‘ Systemvergleich I: Grundlagen und freiheitliche Systeme Teil D: Leistungsfähigkeit und Voraussetzungen von Demokratien TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  2. Gedankengang • Leitgedanken und Grundformen von Demokratie sind aus dem Basismodul ‚Systeme‘ bekannt. • Wie lassen sich die unterschiedlichen Ausprägungsformen zwischen Autokratie und Demokratie differenzierter erfassen? • Wie steht es mit der Leistungsfähigkeit von Demokratien bzw. einzelner ihrer Ausprägungsformen – im Vergleich womit? • Was sind die Voraussetzungen für den Aufbau und die Stabilität von Demokratie? • Wann ist Demokratie konsolidiert – und was kann man für ihre Konsolidierung tun? TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  3. Demokratie, verstanden als ‚Polyarchie‘ (Robert A. Dahl) Zwei Grunddimensionen auf allen Systemebenen zwischen Bürgern und politischer Klasse: Wettbewerb & Partizipation • Recht auf freie Meinungsäußerung • Existenz pluralistischer, wechselseitige Alternativen bietender Informationsquellen • Assoziations- und Koalitionsfreiheit • aktives Wahlrecht • passives Wahlrecht • Recht politischer Eliten, um Wählerstimmen und Unterstützung zu konkurrieren • freie, faire Wahlen • Institutionen, welche die Regierungspolitik von Wählerstimmen und anderen Ausdrucksformen der Bürgerpräferenzen abhängig machen (= Demokratiedefinition aus dem Basismodul) TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  4. Ausdehnung des Wahlrechts nach Hanspeter Kriesi, Vergleichende Politikwissenschaft I, S. 66

  5. Konzeptionen von Demokratie I • ‚minimalistisches‘ / ‚realistisches‘ Konzept (Joseph A. Schumpeter, Giovanni Sartori …) : • Demokratie als ‚Wettbewerb von Eliten‘ & ‚Partizipation von Bürgern‘ • Demokratie nicht als ‚Lebensform‘, sondern als ‚Methode‘ zur Organisation des politischen Zusammenlebens • dabei zentral: Schutz des seine (!) Interessen verfolgenden Einzelnen vor Willkür anderer – sowie vor der Anmutung, vom bourgeois zum citoyen werden zu müssen. • ‚starke Demokratie‘ (Benjamin Barber) • Demokratie als – die Sphäre des Politischen übergreifende – ‚Lebensform‘ von Menschen, die auf gemeinsinnige Partizipation ausgehen ( Kommunitarismus) samt Anmutung, jeder solle bourgeois zum citoyen werden • unmittelbare Selbstregierung durch dafür geeignete Institutionen: von effektiver Bürgerbeteiligung (neue ‚Architektur des öffentlichen Raums‘, z.B. in Form von 1000-5000 Bürger umfassenden Nachbarschaftsversammlungen mit legislativen Kompetenzen) über plebiszitäre Instrumente bis hin zu Wahlen TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  6. Konzeptionen von Demokratie II • liberales Demokratieverständnis • Tradition: Locke, Montesquieu, Madison, Bentham, James Mill • Verfassungsstaat mit Garantie von Leben, Freiheit und Besitz sowie Schutz der Minderheit vor ‚Tyrannei der Mehrheit‘ • Gewaltenteilung mit starker Regierungsverantwortung gegenüber den Bürgern (‚electoral accountability‘) – auf der Grundlage von Repräsentation ohne sonderliche Politisierung / Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten • radikales Demokratieverständnis • Tradition: antike Versammlungsdemokratie, Republikanismus à la Rousseau, (neo-) Marxismus (NICHT Leninismus / Bolschewismus!) • Partizipation: direktdemokratische Deliberation, Willensbildung und Entscheidungsfindung; möglichst geringe Delegation vom Volk als Prinzipal an politische Eliten als dessen Agenten; Einbeziehung (‚Inklusion‘) möglichst aller in den politischen Prozess • dichte öffentliche Kontrolle über die politische Klasse, um auch dort Responsivität zu erzwingen, wo formelle Partizipationsmechanismen nicht ausreichen TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  7. Demokratie: valide Indikatoren • Rechtsstaatlichkeit mit Rechtsgleichheit, ordnungsgemäßen Prozessen und unabhängiger Gerichtsbarkeit als ihrerseits Demokratie noch keineswegs verbürgende / verwirklichende Voraussetzung • Glaubens-, Meinungs-, Organisations-, Demonstrationsfreiheit samt Habeas-corpus-Rechten • offene, pluralistische Gesellschaft mit vielen, effektiven Mitteln der Bürger, dem politischen System gegenüber ihre Interessen und Werte zum Ausdruck zu bringen und zu vertreten: sowohl in unabhängigen Vereinigungen als auch in freien Massenmedien • Freiheit kultureller, religiöser, ethnischer und anderer Minderheiten, ihre Sprachen zu sprechen, Kulturen zu praktizieren und Identitäten auszudrücken • zivile Kontrolle über das Militär; keine Verselbständigung der Polizei • effektive horizontale Gewaltenteilung, die auch rein politischen Machtmissbrauch verhindert • regelmäßige, freie und faire Wahlen mit konkurrierenden Parteien und der Möglichkeit, eine Regierung abzuwählen • weitere Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung, etwa plebiszitäre Instrumente TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  8. Kritik: Bezugspunkt ist ein Idealtyp von Demokratie, so dass deren (Nicht-) Entstehung gleichsam teleologisch gedacht wird – statt Demokratie als emergentes Evolutionsergebnis zu betrachten Abstufungen von Demokratie nach Wolfgang Merkel • Leitgedanke: • Funktionslogik der Demokratie (‚Wahlregime‘ & politische Partizipationsrechte) wird in die Funktionslogik anderer Systemelemente eines liberalen (demokratischen) Verfassungsstaates eingebettet (‚embedded‘). • die Demokratie einhegende Systemelemente: • effektive Regierungsgewalt • Gewaltenteilung, die ‚horizontale‘ Regierungskontrolle ermöglicht • bürgerliche Freiheits- und Gleichheitsrechte • Wenn eines der die Demokratie einhegenden Elemente, oder gar eines der die Funktionslogik von Demokratie umsetzenden Elemente, gehemmt oder beeinträchtigt ist, so entstehen ‚defekte Demokratien‘, zu gliedern nach der Art des ‚defekten Elements‘  exklusive (= ausschließende) Demokratie, Enklaven- demokraite, illiberale Demokratie, delegative Demokratie Vorkommen 2008 TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  9. (defekte) Demokratien unter den Transformationsländern Quelle: Bertelsmann Transformations Index 2008 TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  10. exklusive (= ausschließende) Demokratie  Bereiche von autoritärer Diktatur bestehen weiterhin • ‚Entsteht‘ durch Defekte bei jenen Systemelementen, welche die Funktionslogik von Demokratie umzusetzen erlauben, hier: • (faktischer) Ausschluss einzelner Gruppen von Regierten von politischer Repräsentation oder Partizipation durch … • (faktisches) Wahlrecht • faktischen Druck politischer, sozialer oder wirtschaftlicher Eliten auf Abstinenz von Partizipation, also von der Verwirklichung politischer Freiheit • entlang von Kriterien wie Rasse, Geschlecht, Religion, Besitz, ethnische Zugehörigkeit ( ‚ethnische Demokratie‘) oder ‚richtige politische Einstellung‘ TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  11. illiberale Demokratie (Fareed Zakaria)  nahtloser Übergang von und hin zu autoritärer Diktatur • ‚Entsteht‘ durch Defekte bei der Rechtsstaatlichkeit als einem wichtigen, die (Voraussetzungen der) Demokratie einhegenden (bzw. ermöglichenden) Systemelement • ‚Entstehung‘ auf Seiten der Regierung / Exekutive • Regierung missachtet ‚weil sie es kann‘ immer wieder die ihr eigentlich gesetzten verfassungsrechtlichen Grenzen – gerade unter Berufung auf den ‚Volkswillen‘ (z.B. gegründet auf manipulierte Plebiszite) • Regierung schränkt (sogar) grundlegende Rechte und Freiheiten der Bürger oder einzelner Gruppen von Bürgern ein ( exklusive Demokratie) • ‚Entstehung‘ auf Seiten des Rechts- und Justizsystems • unzulängliche Rechtsnormen / Rechtsinstitutionen • mangelnde richterliche Unabhängigkeit, fehlendes Rechtsethos • kulturelle Entstehung / Verfestigung: Korruption TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  12. delegative Demokratie (Guillermo O‘Donnell)  nahtloser Übergang von und hin zu autoritärer Diktatur • ‚Entsteht‘ durch Defekte bei der Regierungskontrolle, sodass an die Stelle einer Repräsentationsbeziehung eine (reine) Herrschaftsbeziehung mit demokratischem Legitimitätsanspruch tritt (‚Delegation realer Macht an die Exekutive‘) • Erscheinungsformen: • starke, funktionstüchtige Exekutive bei schwachen anderen Institutionen (Parlament, Rechtssystem, Zivilgesellschaft …) • unzulängliche Möglichkeiten, Verantwortung der Regierung einzufordern und über die Sanktionsmechanismen horizontaler Gewaltenteilung auf die Regierung Einfluss zu nehmen • unzulängliche (Verfassungs-) Rechtsnormen, welche die Bindewirkung konstitutioneller Normen auf das Regierungshandeln gering sein lassen TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  13.  Bereiche von autoritärer Diktatur oder ‚unzulänglicher Staatlichkeit‘ bestehen weiterhin Enklavendemokratie • ‚Entsteht‘ durch Verwirklichung von Demokratienur in manchen Bereichen des Staatsgebiets, der Gesellschaft oder der Staatsaufgaben (= in ‚demo-kratischen Enklaven‘), weil … • einzelne Vetomächte (Guerilla, Milizen, Militär, Großgrundbesitzer, Unternehmer, multinationale Konzerne …) • bestimmte Teile des Staatsgebiets, der Gesellschaft oder politischer Gestaltungsmöglichkeiten • dem Zugriff demokratisch bestellter Politiker entziehen. • Möglichkeiten hierzu entstehen …. • außerkonstitutionell: Notwendigkeit, nun einmal bestehende und – zumindest derzeit – nicht beseitigbare Machtgruppen als (wenn vielleicht auch ganz illegitime) ‚poderes facticos‘ zu akzeptieren (z.B. Mafia, Kartelle, ‚befreite Zonen‘ …) • konstitutionell: Verfassung sieht ohnehin nicht die flächendeckende Durchsetzung von Demokratie vor, sei es aus Funktionalitätsgründen (vgl. ‚Demokratisierung der Finanzmärkte‘ oder des Sportes), sei es wegen politischer Machtlagen zur Zeit der Verfassungsgebung (vgl. weiterbestehen monarchischer Macht im demokratischen Konstitutionalismus) • Folge: Verzerrung der Prozesse von Machtbildung, Machtausübung und Machtkontrolle zugunsten einzelner Vetogruppen , Stände/Klassen oder (mafiös-) wirtschaftlicher Akteure TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  14. gut möglich: Demokratien von Diktaturen zu unterscheiden; noch nicht befriedigend gut möglich: Unterschiede in der ‚Demokratiequalität‘ etablierter Demokratien valide zu messen. Messung von Demokratie • Demokratieindex von Keith Jaggers / Ted R. Gurr / Monty G. Marshall • Demokratieindex von Tatu Vanhanen • Freedom House-Index • Bertelsmann Transformation Index • Marc Bühlmann u.a.: Wie lässt sich Demokratie am besten messen?, in: Politische Vierteljahresschrift 49, 2008, S. 114-122 (mit vielen weitern Literaturhinweisen) • David Beetham, Hrsg., Defining and Measuring Democracy, London 2005 TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  15. Demokratieindex von Jaggers / Gurr • fünf Dimensionen, um Staaten zwischen Autokratie (=0) und Demokratie (= 11) zu verorten: • Wettbewerbsgrad der politischen Beteiligung • Regulierung der politischen Partizipation • Wettbewerbsgrad bei der Rekrutierung der Exekutive • Offenheit der Rekrutierung der Exekutive • Begrenzung der Amtszeit der Regierungsspitze • Indexwerte liegen vor für 161 Länder, teils zwischen 1800 und 2003; dabei: • Demokratie ab Indexwert 7 • im Jahr 2002: 88 Demokratien • Sehr reliabel, doch von problematischer Validität, da Systeme mit ‚Altem Dualismus‘ besser abschneiden. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  16. Demokratieindex von Vanhanen • kontinuierlicher Indexwert wird gebildet durch Multiplikation (und anschließende Division durch 100) von … • Wahlbeteiligung P: (Zahl der aktiven Wähler / Bevölkerungszahl) * 100 • Wahlwettbewerb C: 100 – Sitzanteil der stärksten Partei bei Wahlen zur nationalen Volksvertretung • So entstehen Werte zwischen 0 und 100, wobei 100 einen inflationierten, in der Wirklichkeit nicht vorkommenden Wert darstellt und Demokratie ab einem Indexwert > 5 besteht, d.h. Wahlbeteiligung größer als 10% und Wettbewerbskomponente größer als 30%. • Indexwerte liegen vor für 184 Länder, zum Teil ab Mitte des 19. Jh.; im Jahr 2003 nicht weniger als 132 Demokratien. • Schwächen: • unterbewertet den Demokratiegrad von Staaten mit jungen, noch nicht wahlberechtigten Bevölkerungen; bevorteilt Staaten mit Wahlpflicht oder Pflichtregistrierung • bevorteilt Staaten mit fragmentierten Parteiensystemen • ‚subjektives Element‘: Gewichtung von Präsidentenwahlen im Vergleich zu Parlamentswahlen, Berücksichtigung plebiszitärer Instrumente TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  17. Freedom House-Index • erfasst in erster Linie nicht Demokratie, sondern Freiheitsrechte: • umfangreiche Checklisten zur Verwirklichung politischer Rechte und bürgerlicher Freiheiten; • Bewertung durch Experten auf Skalen von 1 (Bestwert) und 7; • dann Festlegung von Schwellenwertenfür Klassifikation eines Landes als ‚frei‘, ‚teilweise frei‘, ‚nicht frei‘ • wird seit 1972 jährlich erhoben und umfasst derzeit 192 Länder und 18 Territorien • Validität hoch, Reliabilität wegen Expertenurteilen und Schwellenfestsetzung nicht über alle Zweifel erhaben. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  18. freie und unfreie Länder 2009 (Freedom house index) grün = frei; gelb = teilweise frei; rot = nicht frei TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  19. Wahldemokratien 2009 Quelle: Freedom house index TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  20. Bertelsmann Transformation Index • Bezieht sich auf den (Weiter-) Entwicklungsstand von Transformationsländern, d.h. auf Staaten, die noch nicht rechtsstaatliche Demokratien mit sozialpolitisch flankierter Marktwirtschaft sind. • Ausführliche Ländergutachten durch Experten informieren über den Entwicklungsstand, die Problemlagen und die Steuerungsleistungen des dortigen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems. • Anhand eines standardisierten Codebuchs prüfen Länderexperten für jedes der 125 einbezogenen Länder anhand von 17 Kriterienmit insgesamt 52 Indikatoren, inwieweit diese erfüllt wurden. Sie vergeben Punkte und begründen ihre Einschätzung. • Ein zweiter Gutachter, meist aus dem bewerteten Land, prüft die Bepunktung und deren Begründung; er schlägt ggf. Änderungen vor. • Eine weitere Gruppe von Wissenschaftlern und Entwicklungspraktikern prüft dann die Indikatorwerte im regionalen und internationalen Vergleich und nimmt ggf. Veränderungen vor. • Aus den Mittelwerten der aggregierten Bewertungen der 17 Kriterien berechnet sich dann der Index. • Wird alle zwei Jahre vorgelegt. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  21. Kriterien des BTI • politische Transformation • Staatlichkeit, politische Partizipation, Rechtsstaatlichkeit, Stabilität politischer Institutionen, politische und gesellschaftliche Integration • wirtschaftliche Transformation • sozioökonomisches Entwicklungsniveau, Markt- und Wettbewerbsordnung, Währungs- und Preisstabilität, Privateigentum, Sozialordnung, Leistungsstärke der Volkswirtschaft, Nachhaltigkeit • Management-Leistung • Gestaltungsfähigkeit, Ressourceneffizienz, Konsenbildung, internationale Zusammenarbeit – und alles bezogen auf den Schwierigkeitsgrad der zu bewältigenden Aufgaben TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  22. defekte Demokratien im Licht der BTI-Kategorien  konsolidierte Demokratien sind klar besser als defekte Demokratien – und diese sind deutlich besser als Autokratien TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  23. Ergebnisse 2008 (BTI) • 14 von 125 untersuchten Staaten können als konsolidierte oder weit fortgeschrittene rechtsstaatliche Demokratien mit sozialpolitisch flankierten Marktwirtschaften gelten (Top Ten: Tschechien, Slowenien, Estland, Taiwan, Ungarn, Litauen, Slowakei, Chile, Uruguay, Südkorea) • Insgesamt erfüllen 75 Staaten erfüllen die Grundanforderungen an eine rechtsstaatliche Demokratie. Unter ihnen: • 23 Staaten sind ohne wesentliche Defizite. • 10 Staaten sind stark defekte Demokratien: erhebliche Mängel an Rechtsstaatlichkeit, eingeschränkte Chancengleichheit für die Opposition, mitunter auch Wahlmanipulationen • 50 Staaten sind Autokratien, darunter die ‚gescheiterten Staaten‘ Afghanistan, Kongo (Zaire), Irak, Zentralafrikanische Republik TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  24. in nicht wenigen Fällen gefolgt von Autoritarisierungswellen ‚Demokratisierungswellen‘ Info • ‚erste Welle‘ nach Samuel Huntington: 1828 – 1926:v.a. Großbritannien, Frankreich, USA • ‚zweite Welle‘ nach Samuel Huntington: • 1943 – 1962: v.a. Indien, Israel, Japan, Westdeutschland • ehemalige Kolonien (v.a. Englands und Frankreichs) nach dem Zweiten Weltkrieg • ‚dritte Welle‘ nach Samuel Huntington: • mittlere 1970er Jahre: Südeuropa • 1980er Jahre: Lateinamerika, Asien (Südkorea, Thailand, Philippinen) • frühe 1990er Jahre: Mittel- und Osteuropa, Teile Schwarzafrikas • 1993: 108 von 190 Ländern weltweit hatten kompetitive Wahlen und Garantien persönlicher und politischer Individualrechte, d.h. mehr als doppelt so viele als 1970 • ‚Schwächezonen‘ von ‚Demokratie‘: islamische Staaten, Afrika; ferner: (ehedem) kommunistische Staaten Asiens Zahlen TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  25. Verbreitung von Autokratien und Demokratien 1850-1955 TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  26. Ausbreitung von Demokratie nach Hanspeter Kriesi, Vergleichende Politikwissenschaft I, S. 146 TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  27. Ausbreitung von Demokratie1974 - 2000 Quelle: Larry Diamond, Consolidating Democracies, in: Comparing Democracies 2, ed. By Lawrence LeDuc et al., Lpndon u.a. 2002, S. 211 1970er: Portugal, Spanien, Griechenland … 1980er Asien: Philippinen, Korea, Taiwan, Thailand, Pakistan … 1990ff: ganz Mittel- und Osteuropa; Südafrika TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  28. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  29. ‚Autoritarisierungswellen‘ • Nur 4 der 17 Staaten, die sich zwischen 1915 und 1931 demokratische Institutionen zulegten, behielten sie auch während der 1920er und 1930er Jahre (‚1. Gegenwelle‘ 1922-1942) • Ein Drittel der 32 funktionierenden Demokratien des Jahres 1958 waren in den 1970er Jahren wieder diktatorisch (‚2. Gegenwelle 1958-1974) • Keine so große Autoritarisierungswelle nach der Demokratisierungswelle von 1990ff • Allerdings: Rückentwicklung von Weißrussland und Russland zu autoritären Regimen, desgleichen etlicher zentralasiatischer ehemaliger Sowjetrepubliken • Stets wiederkehrendes Problem: • In einer Demokratisierungswelle zunächst siegreiche politische Gruppen akzeptieren nicht, durch Wahlen wieder von der Macht entfernt zu werden. • Statt dessen Versuch, die Gegner auf Dauer niederzuhalten. • Folge: Widerstand und – oft genug – (latenter) Bürgerkrieg; Putsche TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  30. Entwicklungen hin zur und weg von der Demokratie • Feststellungen: • Demokratien sind sehr voraussetzungsreiche und anspruchsvolle Staatsformen. • Nie beginnt eine Systementwicklung mit ihnen; allenfalls entstehen sie als ‚emergente Ergebnisse von Systemevolution‘ • Folgen: • Es wird die Entstehung von Demokratie oft ein krisenhafter Prozess sein, ggf. geprägt von Revolutionen oder von außen angestoßener / erzwungener Systemveränderung – mit allen Nachfolgeproblemen solcher Herkunft. • Es wird immer wieder Zusammenbrüche von Demokratie oder (partielle) Rückfälle von Demokratie in (partielle) Diktatur geben, wenn etwa nur die äußeren Formen von Demokratie eingerichtet wurden, ihre Voraussetzungen brüchig sind oder die Eliten versagen. • Es wird ein ‚Oszillieren‘ von (partiell) demokratisch gewordenen Systemen zwischen (partieller) Demokratie und (partieller) Diktatur geben. • Es werden stabile Systeme nicht selten ‚Hybridformen‘ zwischen (echter) Demokratie und (echter) Diktatur sein ( Juan Linz: ‚Autoritarismen mit Adjektiven‘). TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  31. Hybridform I: ‚kompetitiver Autoritarismus‘ (Steven Levitsky / Lucan A. Way) • Besteht dort, wo kein ‚reiner Autoritarismus‘ mehr existiert, sondern … • es (wenn auch manipulierbare) ‚arenas of contestation‘ / ‚Arenen der Auflehnung‘ gibt, • durch welche die Opposition die autoritären Machthaber periodisch herausfordern, schwächen oder sogar besiegen kann. • Solche (manipulierbare) Arenen der Auflehnung innerhalb (semi-) autoritärer Regime sind: • Wahlen: eingeführt unter dem ‚kulturellen Diktat des Demokratieprinzips‘ erzeugen sie periodisch Macht- und Statusunsicherheit der regierenden Elite – wobei die Wahlen zu manipulieren oft mit hohen Kosten verbunden ist und sogar zum Autoritäts- und Amtsverlust führen kann. • Legislative, Parlament: Insbesondere wenn durch (manipulierte) Wahlen bestellt, können sie zum Kristallisationspunkt von Oppositionstätigkeit werden, im Zuge welcher illegale Repressionsmaßnahmen offensichtlich werden. Auch lassen sich einmal eingerichtete Parlamente nur unter erheblichem internationalen Ansehens- und Unterstützungsverlust von den realen Machthabern umgehen. • Judikative: Kombination von formaler richterlicher Unabhängigkeit mit unvollständiger Korruption / Einschüchterung der Richterschaft durch die Exekutive kann ein Einfallstor für Regierungskontrolle und Anlass für ‚verfassungsstaatliche Antizipationsschleifen‘ sein. • Medien: Kombination der Existenz von Massenmedien mit unvollständiger Korruption / Einschüchterung der Journalisten durch die Exekutive kann ebenfalls ein Einfallstor für Regierungskontrolle und Anlass für ‚verfassungsstaatliche Antizipationsschleifen‘ sein.

  32. Hybridform II: ‚elektoraler Autoritarismus‘ (Andreas Schedler) • Leitgedanke: • Wo der (Wieder-) Wahlmechanismus eingeführt ist, dort besteht keine rein autoritäre Diktatur mehr. • Wo der Wiederwahlmechanismus nicht voll entfaltet ist, dort besteht noch keine völlige Demokratie. • Kriterien für die (partiell-autoritär einschränkbare!) effektive demokratische Auswahl der Regierenden: • obligatorische (indirekte) Wahl aller politischen Entscheidungsträger • Vorhandensein realer Alternativen bei solchen Wahlen • freier Zugang von Wählern und Kandidaten zu vielfältigen Informationsquellen • nicht sozial oder politisch eingeschränktes Wahlrecht • freie, da geheime Stimmabgabe • wahrheitsgemäße Auswertung des Wahlergebnis, manipulationsfreie Umsetzung des Wahlergebnis in die Ämterzuweisung • reale Möglichkeit des Gewählten, sein Amt auch anzutreten und wirkungsvoll auszuüben • Je mehr dieser Kriterien nicht erfüllt sind, um so klarer liegt elektoraler Autoritarismus (statt Demokratie) vor

  33. Hybridform III: Hybride Regime als Regimetyp eigener Art (Friedbert W. Rüb) • Leitgedanke: • Bestimmung ‚definitorischer Minima‘ sowohl für autoritäre als auch für demokratische Regime • Bestimmung von hybriden Regimen als stabilen Zwischenformen • Definitorische Minima: • autoritäres Regime: ‚exzessiver Exekutionalismus‘ • demokratisches Regime: effektive Staatlichkeit, individuelle Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, garantierte politische Rechte, effektive Wahlen • Hybride Regime: • Kombination von Merkmalen autoritärer und demokratischer Regime … • in den Bereichen der Legitimation, Ausübung, Struktur sowie des Umfangs von Herrschaft, nämlich …. Info TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  34. Merkmale hybrider Regime nach Friedbert W. Rüb • Herrschaftslegitimation: • dem Anspruch nach demokratisch, umgesetzt durch mehr oder minder freie Wahlen • bevorzugt wird die plebiszitäre Komponente der Demokratie, weil sie personalisierbarer / sachlich fokussierbarer (und aus beiden Gründen steuerbarer / manipulierbarer) ist als die Verbindung von Demokratie mit Repräsentation • Also sind Wahlen sind keine effektiven Instrumente der Regierten, sondern der Regierenden. • Herrschaftsausübung: • erfolgt anhand von Rechtsvorschriften, die in verfassungsmäßig vorgesehenen Verfahren und Institutionen hervorgebracht werden. • es dominieren aber nicht allgemeine Gesetze, sondern präsidentielle Dekrete, Ermächtigungen oder Generalklauseln, was alles die Exekutive stärkt und die Regierten schwächt. • Herrschaftsstruktur • durchaus anerkannte Legitimität der obersten Gerichte, aber … • nur rudimentäre Kontrolle der Exekutive durch horizontale Gewaltenteilung • Herrschaftsumfang • wegen des Fehlens wirksamer rechtsstaatlicher Schranken nicht effektiv begrenzt • Eingriffe in die Unabhängigkeit der Justiz jederzeit möglich • Exekutive agiert auch außerhalb des rechtlich vorgesehenen Rahmens, in Grauzonen, nach konspirativen und korrupten Praktiken und von außen schwer kontrollierbar • politische oder andere Minderheiten befinden sich dauernd im Zustand der Unsicherheit

  35. TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  36. Streit um Demokratie – Überblick I Vergleichsergebnisse • nur Minderheit der Menschheit kennt Demokratie aus eigener Anschauung • laut Freedom House, 1999: • in Demokratien: 39,8 % der Weltbevölkerung (= 2,4 Milliarden, davon1 Milliarde in Indien!) • in undemokratischen Ländern: 33,6 % der Weltbevölkerung • unter halbfreien Bedingungen: 26,6 % • Folge: aus der Sicht der meisten Kulturen gibt es keine – und darum auch keine positiven – Erfahrungen mit praktizierter effektiver Demokratie • wichtigste ‚Grundsatzpositionen‘ der Kritik an der Demokratie: • islamische / islamisch-fundamentalistische Staaten • ‚Demokratie asiatischer Art‘ • ‚Autoritarismus der Regierbarkeit willen‘ • Monismus TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  37. Streit um Demokratie – Überblick II Resultat: unterschiedlich akzentuierte normative und praktische Herangehensweisen an Demokratie • europäischer Erfahrungshorizont: • Tradition eines starken Staates, mit dessen Aufkommen der Druck von Bürgerkrieg und Willkürherrschaft gemildert wurde • Grundansatz des politischen Denkens: • starken Staat als Voraussetzung nehmen (und schaffen!) • sodann dafür sorgen, dass seine Machtkonzentration sich mit demokratischen Strukturen verbinden lässt • nordamerikanischer Erfahrungshorizont: • Grunderfahrung der schwachen Staatlichkeit (= Kolonialverwaltung) oder fehlenden Staatlichkeit (= Landnahme in Richtung Westen) • damit einhergehend: Tradition bürgerschaftlicher Selbsthilfe und der Wahrnehmung des Staates als eines bestenfalls notwendigen Übels • Grundansatz des politischen Denkens: • ein wirklich demokratischer Staat muss ein dezentralisierter und (außerhalb des ‚Kerngeschäfts‘) schwacher sein • sodann dafür sorgen, dass Bürger und Gesellschaft sich sehr aktiv, doch staatsfrei um das Gemeinwesen kümmern TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  38. Konsensbereiche in der (empirischen) Beurteilung von Demokratie Vergleichsergebnisse • Demokratie erzeugt besonders verlässlich Legitimitätsglauben • Demokratie erlaubt vorzüglich eine effiziente und relativ effektive, dabei obendrein friedliche Weise der Rekrutierung, Wahl und Abwahl politischen Führungspersonals • Demokratie ermöglicht besonders effektiv die Veränderung von Politik ohne die vorausliegende Notwendigkeit, gleich auch noch das ganze System zu verändern (‚Regierungswechsel ohne Risiko von Regimewechsel‘) • Mit zunehmender Bestandsdauer macht Demokratie die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse für die große Mehrheit der Bürger berechenbarer. Das erlaubt die Verstetigung vieler gesellschaftlicher Aktivitäten und schafft günstige Voraussetzungen für gesellschaftliche Effektivität und Effizienz. • Problem: Zeittakt der Demokratie, wo der gewollt kurze Handlungshorizont von Amtsinhabern mit der Notwendigkeit konfligiert, längerfristige und vorausschauende Planungen möglich zu machen Literaturhinweis: Manfred G. Schmidt, Demokratietheorien, 3. Aufl., Opladen 2000, Teil IV TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  39. Demokratie als Problemlöserin Vergleichsergebnisse • sichert wirkungsvoll Legitimität, sowohl durch ihre übverzeugenden Leitgedanken als auch durch ihre typischen ‚Pufferinstitutionen‘ (v.a.: Parteien) zwischen Staat und Gesellschaft • legt dem ‚Großen Leviathan‘ Ketten an • sichert Freiheit, wirkt hin auf Gleichheit • macht politisches Handeln dank ihrer institutionellen Mechanismen ziemlich gut berechenbar • bündelt wirkungsvoll individuelle Präferenzen und Interessen • macht ein politisches System – gerade auch dank der Rolle von Opposition – lernfähiger • erlaubt Trennung zwischen ‚System‘ und ‚Regierung‘, womit eine friedliche Ablösung der letzteren möglich wird • nutzt gesellschaftliches Sozialkapital – und zwar auch das oppositionelle! – ziemlich gut aus • stellt wirkungsvolles politisches Führungspersonal bereit Literaturhinweis: Manfred G. Schmidt, Demokratietheorien, 3. Aufl., Wiesbaden 2006, Teil IV TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  40. Demokratie als Problemverursacherin Vergleichsergebnisse • oszilliert zwischen ‚Tyrannei der Mehrheit‘ und Systemblockade durch zu viele Veto-Punkte: Optimierungskonflikt zwischen Herrschaftsbändigung und Steuerungseffizienz • Chance, missliebige Regierungen friedlich loszuwerden, läuft ins Leere, wenn die Installierung effektiver Regierungen nicht gelingt • Vorteil für organisations- und konfliktfähige Interessen • Zielkonflikt zwischen Freiheit und Gleichheit • System verlangt kompetentere und gutwilligere Bürge, als es selbst verlässlich hervorbringen kann • Volkswille ist fiktiv, fehlbar und verführbar • Anreiz für kostspielige (sozialstaatliche) Interventionen, um sich durch ‚Gefälligkeitsdemokratie‘ Mehrheiten zu sichern • Wiederwahlmechanismus und Dauerwahlkampf zwingen dem politischen Handeln kurze Zeithorizonte und die Grenzen dessen auf, was man politisch plausibel machen kann • ‚Unbeständigkeit der Mehrheit‘, bei großen Folgen selbst kleiner Regeländerungen Literaturhinweis: Manfred G. Schmidt, Demokratietheorien, 3. Aufl., Opladen 2000, Teil IV TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  41. Kosten vs. Nutzen der Demokratie: Streitpositionen Abwägungsproblem • ‚typischer‘ Konservatismus • Nivellierung (‚Gleichmacherei‘) durch Demokratie • expansiver Trend über ‚vernünftige Grenzen hinaus‘ (‚schrankenlose Demokratisierung‘) • ‚typischer‘ Liberalismus • grundsätzlich gut: offener Meinungsstreit, Konkurrenz bei Auswahl der Bewerber um politische Ämter • doch problematisch: Nivellierung (‚Gleichmacherei‘) durch Demokratie, v.a. soziale und wirtschaftliche Nivellierung • ‚typische‘ Linke • grundsätzlich gut: offener Meinungsstreit, Konkurrenz bei Auswahl der Bewerber um politische Ämter • aber: Mit Demokratie wurde gerade erst einmal begonnen; sie muss erst noch auf alle Bereiche der Gesellschaft und Wirtschaft ausgeweitet werden! • ‚typische‘ Grüne • grundsätzlich gut: offener Meinungsstreit, Konkurrenz bei Auswahl der Bewerber um politische Ämter • aber: problematisch ist ihre Ausprägung als vor allem Repräsentativdemokratie, die auch noch vom Mehrheitsprinzip dominiert wird (‚Was zählen tausend matte Ja gegen hundert glühende Nein?‘) ; ferner: Wie wird Nachhaltigkeit institutionell abgesichert? TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  42.  differenzierterer Blick Vorzüge und Nachteile verschiedener Formen von Demokratie • Leistungsprofil von Demokratien variiert mit der Form etablierter Demokratie, wobei die Zusammenhänge überaus komplex und in der Forschung im einzelnen immer wieder noch umstritten sind. • Der am besten gesicherte Befund: Einfache Aussagen sind meistens falsch, da sie zwar Richtiges treffen, doch nicht über dessen Rahmenbedingungen informieren! • Wichtigste in diesem Zusammenhang zu unterscheidende Formen von Demokratie: • Mehrheitsdemokratien vs. nicht-majoritäre Demokratien • Repräsentativ- vs. Direktdemokratie • etablierte vs. fragile Demokratien Literaturhinweis: Manfred G. Schmidt, Demokratietheorien, 3. Aufl., Opladen 2000, Teil IV TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  43. Gutes und weniger Gutes an Mehrheitsdemokratien = wenige ‚Vetospieler‘ v.a. ‚Westminster-Modell‘, d.h. parlamentarisches Regierungssystem ohne Verhältniswahlrecht und ohne Föderalismus • gut bei ... • Bildung und Sicherung stabiler Regierungen • relativer Häufigkeit von Machtwechseln und damit verbundener Innovation • Transparenz und Feststellbarkeit von politischer Verantwortlichkeit • mediengerechter (und ‚unterhaltsamer‘) Präsentierbarkeit von Politik • weniger gut bei ... • schockartigen politischen Richtungswechseln bei Machtwechseln • Risiko einer ‚Mediendemokratie‘ (‚politics without policy‘) • Risiko des Überziehens der Konfrontation, Konflikten mit Nullsummencharakter sowie Ausbeutung von Minderheiten • Einbindung von Minderheiten • ‚Vollzugskosten‘ von Gesetzen, die ohne sonderliche Einbindung ihrer Opponenten erlassen wurden: ‚Revanche-Blockaden‘ in der Implementationsphase von Gesetzen TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  44. Gutes und weniger Gutes an nicht-majoritäre Demokratien i.d.R.: Konkordanz-/ Konsensdemokratien • gut bei ... • Einbindung von Opponenten • Zusammenhalt gespaltener Gesellschaftssysteme • nicht-parochialen Lösungen von Kollektivgüterproblemen • weniger gut bei ... • raschem Handlungsbedarf • größeren Politikänderungen • Transparenz der Willensbildung und Entscheidungsfindung • Feststellung und Einforderung von politischer Verantwortung • geringere Anpassungsfähigkeit • geringe Elastizität • geringes Modernisierungspotential TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  45. ‚Konkordanzdemokratie‘ = normative Vorstellung bzw. Verfassungspraxis, dass Konflikte … nicht entschieden werden sollen durch … • Parteienwettbewerb und Mehrheitsentscheid sondern durch … • Verhandlung, Kompromiss und Proporz = viele ‚Vetospieler‘ TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  46. Erscheinungsformen von Konkordanzdemokratie entstehen in der Regel bei … • Vielparteiensystemen mit einander überlagernden Konfliktlinien • Koalitionsregierungen • ziemlich symmetrischen Zweikammersystemen • Föderalismus bzw. starker Dezentralismus • starker faktischer Politikverflechtung • Konsenskultur in stark zerklüfteten Gesellschaften Erscheinungsformen: • Bildung und Nutzung informeller Netzwerke • Politik wechselseitigen Gebens und Nehmens in Elitenkartellen Kosten/Nutzen-Relation: • Pro: wirksamer Minderheitenschutz, wirkungsvolle Gesellschaftsintegration, nachhaltige Elitenakkommodation • Contra: gewaltige Transaktionskosten, reduzierte Reaktionsleistung des politischen Systems, verringerter Einfluss von öffentlicher Meinung und von Wahlen auf den politischen Prozess TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  47. Gutes und weniger Gutes an Mischformen = in jeder Hinsicht ambivalente Bilanz! • Beispiel: Deutschland, wo das Majorzprinzip des Parteienwettbewerbs im parlamentarischen Regierungssystem mit dem Konkordanzsystem im Bundesstaat zusammenwirkt • Bilanz im Systemvergleich: • Mischsysteme schneiden mitunter besser ab als reine Majorz- oder Konkordanzsysteme hinsichtlich von ... • Integrationsfähigkeit • Kooperationsfähigkeit • Problemlösungsfähigkeit • aber: Das Nebeneinander von unterschiedlichen Modi der Konfliktregelung und Entscheidungsfindung kann verursachen ... • Entscheidungsblockaden • Intransparenz oder gar Versickern von Verantwortung TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  48. Repräsentativ- vs. ‚Direktdemokratie‘ • in beiden Typen: • Leben über den Verhältnissen (Indikator: Staatsverschuldung) • Vernachlässigung der Interessen der nachrückenden Generationen • ‚Direktdemokratie‘ (= Demokratie mit starken plebiszitären Instrumenten) im Vergleich zu Repräsentativdemokratie: • vergleichsweise stärkere Berücksichtigung der Interessen der nachrückenden Generationen (v.a. bei öffentlicher Infrastruktur und Bildungswesen) • anders akzentuierte Struktur der Staatsausgaben: zögerlicherer und gedämpfterer Aufbau sozialstaatlicher Strukturen; Erschwerung von ‚Trittbrettfahrereffekten‘ • größere Zügelung des Staates samt größerem Spielraum privater Interessen • größere politische Einflusschancen finanz- und organisationsstärkerer Gruppen • höhere politische Entscheidungskosten • größere Befriedungs- und Integrationskapazität TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  49. etablierte vs. fragile Demokratien = faktisch die wichtigste Unter-scheidungslinie zwischen Demokratien • Definition: • ‚etablierte Demokratie‘: Gemeinwesen mit fest verankerter, seit mehreren Jahrzehnten verlässlich funktionierender Demokratie • ‚fragile Demokratie‘: Gemeinwesen ohne fest verankerte und / oder (noch) defizitär funktionierender Demokratie • Unterformen fragiler bzw. hybrider Demokratien: • ‚ausschließende Demokratien‘: größere Bevölkerungssegmente sind vom Wahlrecht ausgesperrt • ‚Domänendemokratien‘: Vetomächte wie Militär, Guerillagruppen, große Wirtschaftsunternehmen o.ä. beherrschen große Teile von Wirtschaft und Gesellschaft und entziehen sie dem Zugriff der demokratisch gewählten Führung • ‚illiberale Demokratien‘: die wechselseitige Kontrolle der öffentlichen Gewalten wird umgangen, Rechtsstaatlichkeit wird systematisch und aus politischen Gründen verletzt • Kennzeichen fragiler im Unterschied zu etablierter Demokratie: • politisches Leistungsprofil ist in fast allen Bereichen geringer • Legitimitätslage ist angespannt TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

  50. Demokratie und Diktatur im Leistungsvergleich zusammenfassende Befunde von Systemvergleichen (Details anschließend): • etablierte Demokratien haben größere politische Produktivität als andere Regimeformen (Info) • Überlegenheit von Demokratie ist allerdings begrenzt und wird durch methodologische Fehler im traditionellen Demokratie/Diktatur-Vergleich meist überschätzt (Info) • Demokratien erzielen bei manchen Aufgaben nur mäßige Ergebnisse (Info) • einige Herausforderungen bleiben auch für leistungsfähige Demokratien bestandsgefährdend (Info) Literaturhinweis: Manfred G. Schmidt, Demokratietheorien, 3. Aufl., Opladen 2000, Teil IV TU Dresden - Institut für Politikwissenschaft - Prof. Dr. Werner J. Patzelt

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