310 likes | 420 Vues
Odenwald-Akademie, 17.2.2011. Bundesrepublik Deutschland und Israel: Einschränkungen politischer Freiheit im Vergleich. Gliederung. I. Äußerungs- und Parteiverbote: Paradoxien der Demokratie II. Entwicklung von Parteiverboten in der Bundesrepublik: 3 Paradigmen
E N D
Odenwald-Akademie, 17.2.2011 Bundesrepublik Deutschland und Israel: Einschränkungen politischer Freiheit im Vergleich 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen| 1
Gliederung I. Äußerungs- und Parteiverbote: Paradoxien der Demokratie II. Entwicklung von Parteiverboten in der Bundesrepublik: 3 Paradigmen III. Entwicklung von Parteiverboten in Israel: 3 Gründe IV. Vergleich 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 2
I. Demokratie Freie und gleiche Beteiligung an der Gesetzgebung • Politische Gleichheit • Politische Freiheit (Autonomie) In modernen Staaten: vermittelt durch Parteien und die politische Öffentlichkeit, daher: Fundamentaler Status von politischer Rede- und Assoziationsfreiheit 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 3
Verfassungsgrundlagen im Westen • U.S.-amerikanisches libertäres Modell • „Congress shall make no law ... abridging the freedom of speech and of the press“ (1. Zusatzartikel zur U.S.-Verf.) vs. • Kontinentaleuropäisch-protektionistisches Modell • Grundgesetz und Verfassungsrechtsprechung der BRD • Grundgesetz und Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Israel • Europäische Menschenrechtskonvention • UN-Menschenrechtserklärung • UN-Pakt über bürgerliche und soziale Rechte 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 4
Einschränkungen politischer Freiheit als Paradoxien der Demokratie: Wo das Verfassungsrecht politische Äußerungs- und Assoziationsfreiheit beschränkt, „beschneidet es die Möglichkeit, die von der Demokratie geforderte Offenheit der Zukunft mitzugestalten. In dem Ausmaß, wie das Recht festlegt, wie die Zukunft aussehen soll, reduziert es autonome Bürger zu heteronomen Untertanen.“ (Post 2003) 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 5
II. Bundesrepublik Deutschland, Grundgesetz Art. 21 (1) ... innere Ordnung [der Parteien] muss demokratischen Grundsätzen entsprechen ... (2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 6
Fälle in der Bundesrepublik • Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 • Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) 1956 • Verbotsantrag gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), abgewiesen 2003 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 7
Paradigmen des Parteiverbots in der Bundesrepublik • Anti-Extremismus • Verbot der früheren Regierungspartei • Zivile Gesellschaft (Niesen 2002) 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 8
1. Paradigma: Anti-Extremismus • Schaltet Parteien aus, die auf legalem Weg an die Macht kommen, um dann den demokratischen Prozess des Machtwechsels anzuhalten • Links-rechts-Symmetrie. „Äquidistanz“ zwischen Links- und Rechtsextremismus • KPD-Verbot identifiziert substantielle Merkmale der Demokratie (fdGO) • Politikwissenschaftliche Extremismusforschung übernimmt diese Kriterien • Prinzipielle Unabhängigkeit von „realer Gefahr“ • Problem: Demokratieschutz gegen kleine Parteien (<1,5 %) unplausibel 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 9
2. Paradigma: Verbot der früheren Regierungspartei • SRP-Urteil beruht auf der „Wesensverwandtschaft“ der Partei mit der NSDAP (-> NPD??) (Leggewie/Meier 1995) • Analogien mit anderen Fällen demokratischer Transformation. Italien 1948, Polen 1997, Ruanda 2003 • Prinzipielle Unabhängigkeit von „realer Gefahr“ für das politische System • Eng umschriebene Ausnahme von „offener Zukunft“ (Post) 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 10
3. Paradigma: Zivile Gesellschaft • NPD-Verbotsantrag des Dt. Bundestages 2001 • „Klima der Angst“ • „Aufruf zum Hass“ • Aufruf zur Diskriminierung; Herabwürdigung, Missachtung • „reale Gefahr“ liegt in der Zerstörung ziviler Beziehungen zwischen den Bürgern 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 11
Parteiverbote heute, weltweit: Empirische Trends • Terror und Militanz (Batasuna (Spanien)) • Sezession (MAIB (Äquatorialguinea), SCNC (Kamerun)) • Islamismus (Refah (Türkei), Vereinsverbot Kalifatstaat (BRD), Muslimbruderschaft (Ägypten), ...) • Kriminelles Vorgängerregime (Baath (Irak), MDR (Ruanda)) • Verbote ethnischer und anderer partikularistischer Parteien (MASSOB (Nigeria), MDR (Ruanda)) (Thyssen-Projekt „Parteiverbote in Afrika“ an der TUD, 2006-8, Lehrforschungsprojekt TUD 2007-8, Basedau et al. 2007, Niesen 2008, Rosenblum 2007/8) 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 12
III. Israels „defensive Demokratie“ I: Existenzrecht als Staat des jüdischen Volkes • Vorbemerkung: Nichtregistrierung als Parteiverbot • Zweistufiges Verfahren: Wahlkommission • Oberster Gerichtshof • Unabhängigkeitserklärung (1948): Gründung Israels als Staat des jüdischen Volkes • 1965 „Sozialistische Liste“/El-Ard • Nicht registriert wegen staatsfeindlicher Kandidaten, die „das Existenzrecht Israels bestreiten“; Oberster Gerichtshof bestätigt die Nichtregistrierung 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 13
Israels „defensive Demokratie“ II: Rassismus, Verfolgung anti-demokratischer Ziele • 1984 Kach-Partei • Zunächst nicht registriert wegen rassistischem Wahlprogramm (Deportation arab. Israelis); • Oberster Gerichtshof macht die Entscheidung rückgängig: Nichtregistrierung nur in Fällen sehr wahrscheinlicher Gefahr. • 1985 Grundgesetzänderung (Knesset) Abschnitt 7A: An Parlamentswahlen dürfen Listen nicht teilnehmen, deren Ziele und Handlungen • den Charakter des Staates Israel als jüdischer Staat oder • den Charakter des Staates Israel als demokratischer Staat bestreiten oder • Aufstachelung zum Rassenhass (Volksverhetzung) betreiben. 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 14
Israels „defensive Demokratie“ II: Rassismus, Verfolgung anti-demokratischer Ziele • 1988/1992 Kach-Partei und Splittergruppe Kahane Chai von der Registrierung ausgeschlossen (rassistisch, anti-demokratisch). „Demokratische“ Ultrarechte Modelet nicht ausgeschlossen. • Hebron-Massaker 1994: Verbot der Kach-Organisation und Kahane Chai 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 15
Kontroverse • Rechtsprechung: „reale Gefahr“ spielt eine Rolle für das Kriterium „Bestreitung des demokratischen Charakters des Staates Israel“, nicht aber für das Kriterium „Aufstachelung zum Rassenhass“ • Literatur: sollte keine Rolle spielen. „[T]he issue of defending democracy is a matter of moral principle rather than contingent on the level or the proximity of the danger.“ (Cohen-Almagor 1997, 75) 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 16
Israels „defensive Demokratie“ III: Unterstützung des Terrorismus • Zweite Intifada 2000. Dr. Azmi Bishara, MdK, spricht sich 2001 in Syrien für den bewaffneten Kampf der Hisbollah aus. • 2002 Grundgesetzänderung (Knesset) Abschnitt 7A: An Parlamentswahlen dürfen Listen nicht teilnehmen, deren Ziele und Handlungen 4. (Ergänzung:) terroristische Aktivitäten unterstützen • 2003 Balad-Partei • „Nichtanerkennung des Staates Israel und Unterstützung militärischer Feinde oder terroristischer Organisationen“ • Oberster Gerichtshof verwirft die Nichtregistrierung (aus Mangel an Beweisen) 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 17
Israels „defensive Demokratie“ III/2: Unterstützung des Terrorismus • 2009 Balad, Vereinigte Arabische Liste (Ra'am Ta'al) • Ausschluss von der Parlamentswahl am 10. Februar. Die Parteien „seien nicht bereit, den israelischen Nationalstaat anzuerkennen, sie würden zudem zu einem ‚bewaffneten Kampf‘ gegen Israel aufrufen.“ (FAZ v. 13.1.2009) • Oberster Gerichtshof verwirft Nichtregistrierung. 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 18
Was heißt „Unterstützung“? • Spanien (lex Batasuna) • Gewaltanwendung ermutigen oder dazu beitragen • Finanzielle und logistische Hilfe für Terrororganisationen • Ausdrückliche oder stillschweigende Legitimation, z.B. durch Gebrauch von Symbolen terrorist. Organisationen • Erzeugung eines Klimas der Konfrontation und Einschüchterung • Nichtverurteilung von terroristischen Aktivitäten • Israel • Im Verfassungsrecht: starke Nachweise für Kollaboration erforderlich • Im Strafrecht: Unterstützung kann auch durch Billigung erfolgen -> Inkriminierung von Äußerungen. (Navot 2008) 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 19
Exkurs: Parteiverbot in Palästina • Hamas 2003: Internationale Ächtung auch des politischen Zweigs der Hamas (EU, USA, etc.) • „Terroristische Organisation“ • Einfrieren von Konten • Verbot von Werbung und Unterstützung (BRD: al-Aqsa 2002) – weicht auf in Bezug auf die Verwendung von Symbolen bei Demonstrationen, 17.1.2009 • Hamas 6/2007: Präsident Abbas verbietet den militärischen (nicht den politischen) Arm (Notstandsregierung) 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 20
Ende des Exkurses. Zusammenfassung: • Gründe für Parteiverbote in Israel • El-Ard: illegale Organisation, bestreitet das Existenzrecht Israels • Kach-Partei 1988ff.: Rassismus, theokratische Orientierung • Balad-Partei 2003: Unterstützung terroristischer Organisationen (aufgehoben) • Balad-Partei, Ra‘am Ta‘al 2009: Bestreitung des Status Israels als jüdischer Staat, Aufruf zur Gewalt, Unterstützung von Terrorismus (aufgehoben) 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 21
Klassifikationsvorschlag (Rosenblum 2007) und die israelischen Fälle • Unterstützung von Terrorismus (Balad, Kach) • Volksverhetzung (incitement to hate/racism) (Kach) • Gefahr für die politische Identität (El-Ard, zahlreiche Anträge gg. arabische Parteien) • Steuerung aus dem Ausland (Balad) 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 22
IV. Vergleich Israel – BRD 1/4 • Nichtregistrierung statt Auflösung • Bei Teilnahme an Wahlen • Bei der Gründung (Parteigesetz v. 1992) • Verbot nur als illegale Organisation (Strafrecht) 2. Keine Notwendigkeit einer intern demokratischen Organisation in Israel 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 23
Vergleich 2/4 3. Politisierung der Erstentscheidung • Israel: Verbotsanträge und –entscheidungen aus politischen Gründen im Vorfeld von Wahlen wahrscheinlich. Ad hoc-Entscheidungen wenige Tage vor der Wahl. • Bundesrepublik: Verbotsanträge aus politischen Gründen nicht unwahrscheinlich, aber sehr langfristige Bearbeitung, ungewisser Erfolg, hohe Reputationskosten. 4. Verwerfung politisch motivierter Anträge vor dem Obersten/Verfassungsgericht wahrscheinlich • In beiden Staaten 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 24
Vergleich 3/4 5. Vorgehen gegen kleine (<1,5%) Parteien • unwahrscheinlich in Israel • nicht unwahrscheinlich in der BRD trotz 5%-Klausel 6. Beobachtung durch den Verfassungsschutz/Geheimdienst • In der BRD stets möglich, auch in Kombination mit Verbotsverfahren: rechtsstaatlich problematisch • In Israel illegal im Falle von Parlamentsangehörigen. Dennoch starke Aktivität des Staatsschutzes. • Links/Rechts-“Äquidistanz“ (Anti-Extremismus) • Israel: Taktische Komplementarität von Verbotsanträgen. • BRD: Bundesregierung beantragt innerhalb von 3 Tagen SRP-Verbot und KPD-Verbot (1951) 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 25
Vergleich 4/4 8. Modernisierung gegen neue Herausforderungen • BRD: Wiederbelebung des anti-extremistischen Paradigmas gegen islamistische Gruppen. • Israel I: „Extremismus“-Idee spielt eine wichtige Rolle in der Bekämpfung von Parteien, die den demokratischen Charakter des Staats Israel bedrohen. • Israel II: Idee des Verbots einer vormals dominanten Partei nicht nachzuweisen. Stattdessen spielt die Anerkennung Israels als jüdischer Staat eine (potentiell) repressive Rolle • Israel III: Rassismus, Unterstützung von Terrorismus: gleichzeitig sparsamere, genauere und aktuellere Zielvorgabe. Keine Politik auf der Basis von Herabwürdigung und Angst (->Zivile Gesellschaft) 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 26
Demokratie, Autonomie und offene Zukunft • BRD und Israel: keine gewaltsame/ auf die Erzeugung von Angst gegründete Veränderung des politischen Systems • BRD: substantielles Demokratiekonzept (fdGO) • Israel: weniger substantielles Demokratiekonzept mit zwei Ausnahmen • Charakter Israels als jüdischer Staat (bisher nur potentiell restriktiv) • Antirassismus (restriktiv) 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 27
Literatur 1/2 • Basedau, Matthias, Matthijs Bogaards, Christof Hartmann und Peter Niesen (2007), „Ethnic Party Bans in Africa: A Research Agenda“, German Law Journal 8, 617–34. • Cohen-Almagor, Raphael (1997), „Disqualification of Political Parties in Israel“, Emory International Law Review 11, 67-109. • Fox, Gregory H./Georg Nolte (1995), “Intolerant Democracies", Harvard International Law Journal 36, 1, 1-70. • Leggewie, Claus/Horst Meier (1995), Republikschutz. Hamburg. • Navot, Suzie (2008), “Fighting Terrorism in the Political Arena: The Banning of Political Parties”, Party Politics 14, 745-763. • Niesen, Peter (2002), “Anti-Extremism, Negative Republicanism, Civic Society: Three Paradigms for Banning Political Parties”. German Law Journal 3, 6, 1-46. • Niesen, Peter (2008), „Demokratieerhalt durch Parteiverbot? Das Fallbeispiel Ruanda“, Zeitschrift für Menschenrechte 2,1, 64-90. 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 28
Literatur 2/2 • Pedahzur, Ami (2002), The Israeli Response to Jewish extremism and violence, Manchester. • Post, Robert C. (2003), „Redefreiheit, Menschenwürde und Demokratie“, in G. Frankenberg/P. Niesen (Hg.), Bilderverbot. Münster. • Rosenblum, Nancy L. (2007), “Banning Parties: Religious and Ethnic Partisanship in Multicultural Democracies”, Journal of Law & Ethics of Human Rights 1, 1, 17-75 • Rosenblum, Nancy L. (2008), On the Side of the Angels. An Appreciation of Parties and Partisanship, Princeton. 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 29
Danke für Ihre Aufmerksamkeit. 15. August 2014 | Institut für Politikwissenschaft | Prof. Dr. Peter Niesen | 30